Dienstag, 25. Dezember 2007

Rauhnacht N°1


8 Kelche
Der Antritt einer Reise nach Innen, manchmal passiert er mir fast von selbst, manchmal erkämpfe ich ihn durch Krankheiten aller Art. Weil ich schnell Schuldgefühle bekomme und nervös werde, weil ich schon wieder „nichts getan“ habe, muss ich mich dazu zwingen, echtes Nichtstun zu kultivieren. Nur so wird mein Tun wieder sinn-voll und geht mir leicht von der Hand.
Ich messe meine menschlichen Erfolge an meiner Fähigkeit, die To-Do-Liste erst gut zu füllen (leicht) und dann erfolgreich abzuarbeiten (hoffnungslos). Leider sehe ich mich wegen einiger unerledigter Punkte flugs unter der Brücke enden - und sosehr ich um die Absurdität derartiger Gedanken weiß, so wenig gelingt es mir, ihnen keinen Glauben zu schenken.
Wenn ich also der Angst und Bange verfalle, am Rande der Depression entlang kratze und erst recht nichts gebacken bekomme, wird es Zeit für folgende Frage:

Wie kommt es, dass ich überhaupt tätig werden kann?

Unter allen meinen Handlungen, Gedanken und Worte schwingt etwas viel Tieferes: der Urgrund des Seins überhaupt. Es war zuerst da und aus ihm erwuchs mir die Möglichkeit, körperlich zu sein, Entscheidungen zu fällen, mich mitzuteilen, zu entwickeln und als etwas Lebendiges zu erleben. Diese Schwingung-vor-Allem ist keine Einbildung irgendwelcher Hippie-Trippie-Leute. Nach eingehender Prüfung durfte ich auch feststellen, dass sie keine Glaubensfrage ist. Wer - wie ich - sein Leben lang auf der Autobahn verbracht hat, muss nicht an das Geräusch von Bienensummen glauben, er muss von der Autobahn hinunter.
Dieser Ur-Puls (den ich nicht besser beschreiben möchte) ist gerne bereit, sich in mir auszubreiten; allerdings stellt er Regeln auf: hinsetzen, Mund halten, ruhig bleiben! Nein, nicht wie Schule. Schon eher wie der Versuch, in einem Boot sitzend auf den Grund eines verzauberten Teichs zu blicken.
Trage ich den Anblick dieses Grundes in mir, ist keine meiner Handlungen mehr banal, denn ich fühle sie ihm entspringen. Ich erfahre, dass ich zuallererst BIN und dadurch erst MACHE. In der Bewusstheit meines Seins erhält mein Machen eine ganz andere Gewichtung. „Besorgungen“ schrumpfen allmählich zu dem was sie sind: eine von vielen Möglichkeiten, durch die sich mein Sein ausdrückt. Nicht zappeliges Herumspringen und Mich-Bemerkbarmachen ist Lebendigkeit. Mir Zeit zu nehmen um zu fühlen, dass ich bereits im ruhigen Dasein vor Leben übergehe - das schon.

Donnerstag, 13. Dezember 2007

der feine Unterschied...

Ist das nur meine Meinung, oder ist es tatsächlich idiotisch, einer müden Studentin so einen Kerl vor die Nase zu halten und dann noch profunde Analysen zu erwarten?





Barberinischer Satyr, schläft seit 200 v. Chr. (und die Münchner freuen sich)



Das Einzige, was mir in assoziativer Gedankenkette noch einfällt: was sich im Museum locker ein unschuldiges Kunst-Tarnkäppchen aufsetzt (jaja, beachtet bitte die jähen Qualitätsumschwünge der verschiedenen Richtungsenergien!) , löst am Plakat einen Skandal aus. Zur Erinnerung:



Samuel de Cubber, Aikido Vize-Weltmeister, zog sich 2002 aus


Tja, hätte der Herr Saint Laurent doch lieber auf einen steinernen Schniedel gesetzt statt auf Lebendfleisch - anscheinend sind wir auch 2002 nicht bereit für echte nackte Männer! Die entschärfte Version:


Meiner Treu... dass es im Museum versauter zugeht als auf der Straße - wer hätte es vermutet?!

Schöner Advent!

Dienstag, 4. Dezember 2007

Sein und Zeit


Weiß auf Weiß (K. Malevich, 1918)

Aufgestanden zwischen erstem und zweitem Schlummertastendruck.

Richtig aufgewacht im Hörsaal über den Dächern.

Betrachtungen eines Philosophen, der nichts von kategorialen Begriffsbestimmungen hält. Stattdessen sieht er Begriffe als Wegweiser zum persönlichen Nachvollzug.

"Verwandlung in das Dasein"
[... ! ...]




Apoll von Tenea (~2500 Jahre alt)

"In der Welt-Sein" des Daseins -
nicht Ich gegen die Welt,
sondern Ich bereits in ihr gegeben,
mein Dasein bereits welthaft.
Keine Be-ziehung zwischen uns, sondern apriori schon vereint.


So wie der Apoll, der in Horizontale und Vertikale eingespannt ist, aber vor Dasein und Lebendigkeit strahlt.
Von Gesetzen geformt, doch ungetrennt von ihnen,
ist er, was er zugleich verkörpert.
Unter der Steinhaut regt sich eine Kraft, die keine Handlung braucht um tätig zu sein.
Der Mensch ist da.

Es ist gleichgültig, worin er lebt - ich erkenne ihn sogar im Stein.
Der Stein besitzt Leben und lächelt das Lächeln des seienden Menschen.

Ich gehe an einem alten Mann im Park vorbei, der schmunzelnd nach oben blickt.

Warum will und muss ich mich nicht umdrehen, um den Grund seines Lächelns zu verstehen?

Vielleicht weil die Spiegelung des Betrachteten in seinen Augen schöner und wahrhaftiger ist, als jeder Vogel, jede Wolke, die ich dort oben finden könnte.

Vielleicht weil auch ich ein Mensch bin - ich sehe Augen und verstehe.

Donnerstag, 22. November 2007

jessas maria, wos hot an jetz scho wieda taun?!

Angeregt von Luisas Eintrag zu Kinderspielen stieg heute in mir die Erinnerung an das wohl seltsamste Spiel meiner gesamten Kindheit auf. Bis ich etwa 13 bin gibt es bei uns keinen Fernseher und zu meinem Leidwesen auch keine Computerspiele oder Gameboys, sondern nur gutes altes Spielzeug. Davon aber reichlich. Außerdem sind mein Bruder und ich begeisterte Schauspieler. Weil wir beide nicht viel auf andere Kinder halten und damit auch die Klassifizierung von Spielzeug und Spielen nach Geschlecht nicht erlernt haben, spielen wir beide mit Puppen und Autos, und finden es auch nicht befremdlich, uns gegenseitig Schnurrbärte oder rote Wangen zu malen. Jeden Samstag oder Sonntag steht vormittags das Folgende auf dem Programm:
Mein Bruder ist eine grantige alte Frau und wohnt im ersten Stock eines Hochhauses (= oberes Etage des Stockbetts). Ich bin auch eine grantige alte Frau und wohne im Stock darunter. Jedes Wochenende läutet die eine bei der anderen am Plastiktelefon an und lädt sie zum Kaffee ein. Meistens muss ich meine Nachbarin einladen, weil sie Angst hat, dass ihre Wohnung im ersten Stock zusammenbricht, wenn wir gemeinsam dort hocken. Ich schimpfe ein bisschen, weil ich auf die gute Aussicht nicht verzichten will und außerdem insgeheim darauf hoffe, meiner Nachbarin die gute Wohnung abzuluchsen. Die ist aber immer schlauer als ich und am Ende serviere ich ihr Kaffee aus meinem Puppengeschirr in meiner Wohnung, und es geht los. Das Gesprächsthema ist immer das gleiche: der Mondo. Der Mondo, das ist ein kleiner Bub, der ebenfalls im Hochhaus wohnt. [Es bleibt rätselhaft, wie er zu seinem Namen gekommen ist - ich vermute eine Verwandtschaft mit dem (nicht ganz harmlosen) Schimpfwort "Mongo"; Idiot, beschränkter Mensch.] Der Mondo ist aber keinesfalls ein Depp. Er ist ein kindlicher Revoluzzer und Vandale, den wir, die alten Damen, fürchten und verachten. Jeden Sonntag erzähle ich meiner Nachbarin und sie mir von den neuesten unglaublichen Schandtaten des Mondo. Jessas maria, wos hot an jetz scho wieda taun?! (Jesus und Maria, was hat er denn jetzt schon wieder getan?!), schreien wir und heben die Arme gen Himmel, unsere Altweiberköpfe wackeln und wir fühlen uns plötzlich sehr alt.
Bei der Nachbarin aus dem 3. Stock ist er einfach in die Wohnung gestürmt und den Fernseher aus dem Fenster geschmissen!
Ja, und der anderen Nachbarin hat er den für ihn gebackenen Apfelstrudel einfach wieder in die Schürze gespuckt!
Im Supermarkt hat er sich an der Kassa einfach aufs Fließband gelegt und der Kassiererin ins Gesicht gelacht!
Im Flur hat er Erbsen ausgestreut und der alte Nachbar hat jetzt ein verrissenes Kreuz!
Der Nachbarin hat er das Baby aus der Wiege gestohlen und eine Katze hineingelegt!
Ihrem Sohn hat er die Bettdecke ans Bett geklebt!
Dem Briefträger hat er das Rad angesägt!
Der Gesprächsstoff reicht für eine Stunde und am Ende sind wir beide sehr erschöpft und aufgebracht. Die Nachbarin und ich nicken besorgt, doch würdevoll, schenken einander ein und seufzen über die Kinder von heute. Dann ein Kratzen und Miauen an der Tür - Nein!, schreit meine Nachbarin, nicht öffnen! Das ist ein Trick vom Mondo, der will dir dein Geschirr zerschlagen! Am nächsten Wochenende habe ich an meiner Wohnungstür bereits Ketten montiert.
Wir zerbrechen uns den Kopf über die Zukunft des teuflischen Mondo, dessen Eltern nicht auffindbar sind und der - Gott behüte! - womöglich alleine in einer Wohnung lebt, unter selbst abgezogenen Katzenfellen schläft und nur isst, was sich im Supermarkt in die Taschen stopfen lässt, während alle wegschauen. Und einen Heidenspaß hat er auch noch dabei! Wir würden ja die Polizei anrufen, aber es ist Wochenende, da arbeiten die nicht. Unter der Woche tun das zwar die gepeinigten Nachbarn, aber der Mondo entkommt immer. Dass es ein Jugendamt gibt, wissen wir noch nicht. Wir seufzen und jammern, beklagen die Zeit in der wir leben und die Kinder, die sich nicht ordentlich zu benehmen wissen. Insgeheim sind wir froh, denn in unserer langjährigen nachbarlichen Freundschaft hat sich kein Gesprächsthema als so ergiebig erwiesen wie der Mondo.
Warum der Mondo uns niemals etwas tut, wundert uns sehr. Höchstens ein bisschen Hunde-AA oder nasses Klopapier schiebt er uns manchmal durch den Briefschlitz, aber das ist ja alles kein Drama. Verglichen mit explodierenden Fernsehern, vertauschten Kindern und angesägten Fahrzeugen.
Einige Jahre später eröffnet in unserer Nachbarschaft der erste Mondo, ein Billig-Supermarkt. Das verfolgen mein Bruder und ich natürlich mit Staunen. Wir gehen am Laden vorbei, schütteln unsere runzligen Köpfe und fühlen uns plötzlich sehr alt und müde angesichts dieser verwahrlosten Welt, in der ein Mensch wie Mondo sein eigenes Geschäft bekommt.

Samstag, 27. Oktober 2007

niyamas: schaucha

Schaucha
Reinheit des Körpers, des Geistes und der Seele

Eines der 5 Niyamas, den allgemein gültigen Qualitäten im Umgang mit uns selbst.






In den Asanas erleben wir über unseren Körper sehr direkt die Auswirkungen eines unharmonischen Lebensstils. Wir spüren unsere An- und Verspannungen und unsere Steifheit, Erschöpfung, Müdigkeit oder Ruhelosigkeit und Überdrehtheit. Wir nehmen wahr, wie negative und destruktive Emotionen und Gedanken uns verunreinigen und hemmen, wie der Neid uns vergiftet oder die Angst uns lähmt. Und es entsteht auf eine natürliche Weise der Wunsch nach "Reinigung", nach Veränderung.

Aus: Flow Yoga. Meditation in Bewegung, von Beate Cuson


Das Thema Reinigung beschäftigt mich schon sehr lange. Ich merke schnell, wenn mich ein Erlebnis, ein Gedanke oder eine körperliche Empfindung verschmutzen. Das Gleichgewicht geht verloren, die Gedanken zischen kreuz und quer, der Körper wird schwer, alles verstopft.

Manches kriegt der Körper von selbst wieder in die Balance, manches bleibt unerkannt lange in einem und richtet schweren Schaden an. Das eigentlich Mühsehlige an der Reinigung ist selten das "Waschen" selbst, sondern die Überwindung dazu. Wie beim Sport oder beim Arbeiten. Wenn man einmal dabei ist, geht es meist locker von der Hand, aber bis dahin...

Negative Gefühle, hassvolle Gedanken etc. machen den Menschen nicht schlecht. Sie müssen nicht ausgetrieben werden, weil sonst der Teufel kommt, oder unsere gerechte Strafe. Ich werde im Spiegel des Lebens freilich genau das erblicken, was ich selbst ausstrahle. Aber innerliche Hygiene sollte man nicht aus Angst betreiben, dass einem das Leben sonst eins überbrät. Der Grund, warum Schaucha gut und wichtig ist, ist sehr schlicht: wer einmal vollkommen sauber und klar war, kennt ihn. In diesem Zustand sind die Gedanken geschmeidig und ruhig, auf den Lippen liegt das Lächeln der zufriedenen Vergnügtheit, die Haut ist weich, der Körper ist warm, leicht und biegsam. Man findet die richtigen Worte, sieht klar, hört richtig, denkt mit Liebe und handelt mit Verstand. Der einzige Grund für Reinigung ist das Bedürfnis, sich so oft wie möglich so heil fühlen zu können.

Aber wie putzt man sich eigentlich innerlich? Es gibt viele verschiedene Techniken und alle möglichen Richtungen und Schulen, von bodenständig bis abgehoben. Elemente-Reinigung, Bewegung, Visualisationen, Meditation, Geißelung... Ich fühlte mich lange zum Schmutzig-Sein verurteilt, denn nichts funktionierte. Was mir dabei nicht klar war - und das lag wohl an der Wortwahl "Reinigung" - war die Natur dieses Prozesses. Der ist nämlich grundsätzlich verschieden von der Art und Weise, wie wir unsere Körper, unsere Kleidung und unsere Autos waschen. Die "Reinigung" von Zorn, Angst, Scham etc. funktioniert nämlich nicht so, dass Belastendes aus dem Körper getrieben wird, wie der Fleck aus dem Hemd. Das musste ich schmerzlich erfahren, als bei jedem "Abtreibungsversuch" der Zorn in mir umso stärker in mir aufflammte. "Ich gehe nicht!", brüllte er und trieb mir die Rauchwolken aus den Ohren. Was macht man, wenn ein Fleck mit jedem Waschgang hartnäckiger wird? Nach vielem Hadern kam dann doch noch die Erkenntnis: ein Hemd mit Fleck ist vielleicht kein gutes Hemd, aber ein Mensch mit Zorn muss nicht waschen, sondern ordnen. Böse Gedanken oder Gefühle gehören nicht raus, sondern einfach an den richtigen Ort. Als ich meiner Wut erstmals nicht die Tür wies, sondern sie in mir an ihren richtigen Ort zu leiten versuchte, wurde sie plötzlich handzahm. Nach einigem Üben wurde sie wieder zu dem was sie ist: Stärke, Mut, Durchsetzungsvermögen.

Kennt noch jemand den Rubik-Würfel? Das Prinzip ist ähnlich (und die Erfolgschancen höher - zumindest bei mir).





Ableitende Yogaübungen sind vor allem die Drehungen. Man kann aus beinahe jedem Asana einen Twist machen. Wichtig ist immer, die Drehung mit gut aufgerichtetem Rumpf zu beginnen. Die Einatmung lässt die Wirbelsäule vom Steißbein in die Höhe wachsen. Der Ausatem macht den Körper geschmeidig für die Drehung, die Energie ergießt sich vom Scheitel über den Rücken, die Aufrichtung bleibt dabei erhalten. Mit dem Atem entsteht ein innerkörperlicher Puls. In der Vertikalen wechseln Wachstum und das sich nach unten Ergießen. In der Horizontalen spürt man Erfüllung/Ausdehnung und Entleerung bzw. Entspannung.

In diesem Tanz, der sich in alle Richtungen ausbreitet, ist das Körperzentrum das Auge des Sturms. Nicht die Arm- und Beinkraft drücken den Rumpf in die Drehung. Es sind die Bauchmuskeln, die für den Twist verantwortlich sind. Im Drehsitz zum Beispiel kann man immer wieder die Arme heben, um festzustellen, ob der Bauch die Stellung hält, oder doch nur die Oberarme. So wirkt die Drehung zwar äußerlich weniger tief und spektakulär, kommt aber aus der Mitte und besitzt damit echte Tiefe und Verwandlungskraft.

Montag, 8. Oktober 2007

nebenher gedacht

Bevor ich wieder in der Versenkung (aka Bücherturm auf Schreibtisch) verschwinde, ein paar Zeilen aus dem Notizbuch:

Samstag, 06.10.2007
Lese gerade für meine Arbeit über Otto Dix. Ich bin ganz fasziniert, kann aber noch nicht ganz in Worte fassen, weshalb und worüber... Am meisten rätsle ich noch über meine Herangehensweise im Bezug auf Politische Ikonografie. V.a., weil Dix die politische Politik verabscheut (er ist ja trotzdem ein politisches Wesen). Er ist vielleicht der neutralste Künstler, mit dem ich mich je eingehender beschäftigt habe. Ein unverwickelter, zynischer Menschen- und Lebensfreund. Erinnert mich an Heraklits Vorstellung von einer Welt und einem Fluss der Polaritäten. Nur dazwischen liegt die Wahrheit; die Welt ist nicht nur häßlich oder schön, aber sie besitzt immer Schönheit... Ich lerne viel von seinem Blick.

Sonntag, 07.10.2007
Denke mir heute, dass ich wohl doch eigtl. keine Kunsthistorikerin, auch keine gute Kunstbetrachterin im Sinne Dix' bin. Mir fehlt das Auge. Dix, das mag ich ja so, liegt das Herumgedenke & -philosophieren nicht. Er findet alles in der Betrachtung, obwohl seine Bilder viell. nicht völlig selbsterklärend sind. Jedenfalls denke ich mir heute, dass ich vielleicht irgendwie 'blind' bin. In der Kunst sehe ich so schwer etwas. Es kostet mich enorm viel Aufwand, da meine Lider aufzukriegen. Das ist komisch, weil ich sonst ein sehr fein-sinniger Mensch bin. Ich sehe viel, nur viell. eher i.d. Bereichen, wo man nichts sehen kann (lustig).
Nicht in der Kunst, vielleicht ganz besonders schwer in Dix' Kunst, wo soviel auf der Hand liegt. Trotzdem fesselt er mich, es ist so, als könnte ich mit den Wimpern etwas berühren, aber der Blick ist noch nicht kräftig genug, die Vorhänge zu heben. Wirklich zu verstehen, zu begreifen...
Jedenfalls packt mich so eine Lust, sehen zu lernen. Ich denke mir heute sogar, dass mein Blick verbraucht, müde sein könnte. Es gelingt mir nicht, den Dix anzuschauen, als wäre er das Allererste, was ich jemals betrachtet hätte. Genau das braucht der aber, glaube ich. Ich ahne, dass nämlich der Schleier, der vor meinen Augen hängt, aus allen Kategorien, Analysen und Schubladen besteht, die ich mir mit den Jahren zusammengelernt habe. Ich ahne, der Dix malt die Wirklichkeit; roh, schön, hart - so wie ich sie vielleicht bei der Geburt noch gesehen habe. Ich kann das nicht beschreiben. Weil ich da ja auch noch nur geschaut habe.
Ich stelle fest, dass ich anscheinend in all dieser Auseinandersetzung mit der Kunst zu erblinden begonnen habe. Ich weiß nicht, was sie will, wohin sie will, was ich mit ihr machen soll. Ich weiß nur, ich gehe z.B. vor so einer lasiert gemalten Obstschale in die Knie. Und - ohne zu wissen, dass auch er lasierend malt - jetzt klebe ich plötzlich an Otto Dix.
Ich denke mir, es wäre doch toll, wenn man so einen Maler jenseits aller Genius-Mythen einfach neben sich haben könnte. Als Lehrer im Betrachten. Ich denke - wer ein Kunstwerk richtig anzuschauen weiß, muss irgendwie ein - naja - 'besserer' Mensch sein. Nein, ehrlich... Wie die Nazis den Friedrich + die Donaustil-Maler in einen Topf gehauen haben... Scheißvergleich, aber... Schauen konnten sie nicht... Nicht so wie ich das möchte. Ich will mich einmal 2 oder 3 Stunden vor so einen Dix hocken und Sehen lernen. Das ärgert mich so furchtbar, dass ich es nicht kann! Und ich hab das Gefühl, da muss ich durch, da geht es weiter.

Sonntag, 30. September 2007

yamas: asteya

Asteya

Nicht-Stehlen, das Recht anderer nicht verletzen, Großzügigkeit


Ich gehe durch eine Phase der ständigen Sorge. Zum ersten Mal in meinem Leben begegne ich existentiellen Ängsten, die nichts mit der Todesangst zu tun haben, die mich jährlich in Schüben bei Winterbeginn und im Frühjahr besucht. Ich fürchte mich auf einmal nicht mehr vor meiner persönlichen Endlichkeit, sondern vor der schrecklich kurzlangen Spanne, die es "bis dahin" noch sinn-voll zu machen gilt. Ganz nach dem Motto:


„Wie kriege ich die Zeit vor meiner Beerdigung noch rum?“

Ich bin überrascht von dieser mich ständig überrumpelnden Lebensfurcht und von der Heftigkeit der Sorgen-Schleife, die mich von einem „Problem“ zum nächsten schleudert, während ich bei Sonnenschein mit Tee auf dem Sofa sitze (und nicht hungrig unter der Brücke). Da sehe ich mich aber schon enden und fühl ich mich, als würde ich im freien Fall durch das Netz der Schöpfung stürzen, zu klein für jede Masche – ein zu unbedeutender Fisch, und zugleich ein ganz armer.
Nebenher beschäftige ich mich halbherzig mit Asteya und irgendwann geht mir der Knopf auf. Das eigentliche Problem sind ja nicht die Probleme, sondern die Natur der Sorge: zwar ist sie völlig zwecklos, hat dabei aber einen hohen Suchtfaktor. Bequem ist sie auch; eine scheinbar natürliche Reaktion auf alle Hindernisse und Unergründlichkeiten. Und wie kraftlos das Sorgen macht! – da hält nicht einmal der anstrengendste Versuch, ein Hindernis zu überwinden, mit.

Da liegt sie plötzlich sonnenklar vor mir, meine Aufgabe des Augenblicks: das Sorgen nicht nur als zwecklosen Zeitvertreib zu erkennen, sondern als gemeinen Diebstahl. Es geht dabei nicht nur um den Raub des Antriebs, sondern auch darum, dass durch das Suhlen in Zweifeln und Sorge der Mensch seine grundsätzliche Fähigkeit, Verantwortung und Da-Seinsberechtigung zu vergessen beginnt. Ganz davon abgesehen, dass er sich um die Entwicklung von Vertrauen, Hingabe und Gelassenheit bringt.
*~*~*

Und nebenbei: schon komisch, dass wir so ganz natürlich und selbstverständlich mit diesem Hirngefängnis „Sorge“ aufwachsen, Stichwort: Vor-Sorge (sich schon im Voraus sorgen), Sorg-Samkeit (manche meinen damit Gründlichkeit, die hat aber nix mit Angst zu tun), Für-Sorge (mich für den anderen gleich mitsorgen, vielleicht hilft es ja…). Vielleicht nur Wortspiele, aber sie deuten dennoch an, für wie berechtigt die Sorge gemeinhin gehalten wird. Ein "sorgloser Umgang" wird ja üblicherweise nicht so gerne gesehen...
"Warum vorsorgen?" fragt diese Bank und gibt die
Antwort:

"Ihre Sorgen möchten wir haben"

... und die Verantwortung übernimmt die richtige
Bank/Versicherung...

Juhu, Sorgen machen - aber richtig!

(Für Nicht-Österreicher: der nette Herr links ist von der Bank, der Papa rechts hat gegen diesen Babysitter anscheinend nichts einzuwenden.)

Dienstag, 4. September 2007

yamas: satya

satya
sanskrit für: Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Wahrheit


Weitere Bedeutungen:
  • Wahrhaftigkeit als Unwandelbarkeit. Satya ist das, was immer ist und keinerlei Veränderung unterliegt. Der menschliche Geist im Zustand der Zerstreuung, der menschliche Körper, der Wandel des Lebens im Allgemeinen sind damit nicht Satya. Wahrhaftigkeit beschreibt den unveränderlichen Kern, das Ewige hinter dem Fluss der Ereignisse.
  • Satya als Höchstes Bewusstsein (purus'a). Es vereint Ehrlichkeit mit Gewaltlosigkeit (ahimsa):

"Bevor du sprichst, frage dich: ist es ehrlich, ist es sanft, ist es besser als das Schweigen?"


Ein Fürst aß mit Vorliebe gedünstete Tomaten. Er konnte sich nicht satt davon essen. Er hatte sogar einen besonderen Diener, dessen einzige Aufgabe darin bestand, die Tomaten so schmackhaft, wie nur möglich zuzubereiten. Der Herrscher schwärmte: „Wie herrlich ist doch dieses Gemüse. Wie göttlich ist ihr Geschmack. Wie prächtig sie aussehen! Gedünstete Tomaten sind das Beste, was es auf derErde gibt.“ „Jawohl, mein Herr,“ antwortete der Diener.
Am gleichen Tag noch aß der Herrscher in seiner Gier so viele Tomaten, dass es ihm schlecht wurde. Der Magen drehte sich ihm um und dieTomaten erblickten auf umgekehrtem Wege wieder das Tageslicht. Er stöhnte: „Nie wieder gedünstete Tomaten. Dieses hinterhältige Gemüse will ich nicht mehr sehen. Allein ihr Anblick und der Gedanke an sie erzeugen mir Übelkeit. Tomaten sind das scheußlichste Gemüse, das ich kenne.“ „Jawohl, mein Herr,“ antwortete der Diener. Da wurde der Herrscher stutzig. „Heute Mittag, als ich noch von der Herrlichkeit der Tomaten sprach, stimmtest du mir zu. Jetzt, da ich über ihre Gräßlichkeit spreche, stimmst du mir wieder zu. Wie läßt sich das vereinbaren?“
„Herr,“ sagte der Diener, „ich bin dein Diener und nicht der Diener der Tomaten.“

  • Ehrlichkeit... wenn ich von mir spreche: den Punkt finden, wo ich meine Gedanken wahrhaftig ausdrücke, ohne zu viel zu sagen. Selbst wenn mein Gegenüber das nicht merkt - ich muss mich gelegentlich fragen, wo Ehrlichkeit in Striptease umschlägt.
  • Ehrlichkeit - zunächst einmal die Unehrlichkeit eingestehen. Da ein bisschen an der Wahrheit geschraubt, dort zu schnell geschlussfolgert, woanders unangenehme Details zugunsten einer geschönten Version erfolgreich vergessen...
  • Mut. Erkennen, eingestehen: Ich bin nicht da, wo ich sein sollte. Oder besser: ich bin nicht vollkommen da, wo ich eigentlich bin. Meine Worte entsprechen nicht meinem Wünschen, meine Ernährung nicht meinem Hunger, meine Gedanken nicht meinem Ziel, meine Asanas nicht dem, was ich tatsächlich vermag und brauche.
  • Wo liegt Satya? Ich finde sie zum Beispiel in Balance-Haltungen - hier zeigt sich am Besten, wo der Mensch gerade wirklich steht, wo die Gewichtung tatsächlich liegt. Je weiter Gedanken, Atem und Körper von Satya entfernt sind, desto unbeständiger und wackeliger ist auch die Pose. Schummeln hilft hier kaum weiter, sondern nur Rückbesinnung in das, was Satya neben Ehrlichkeit noch bedeutet, nämlich "höchstes Bewusstsein". Das Gleichgewicht zu schulen bedeutet auch, das Unveränderliche, Ewige und Wahre inmitten des Wandels zu suchen, zu entfalten und auszudrücken. (Gleichgewicht finden lässt sich wunderbar in sämtlichen Variationen von Baum, Krähe, Tänzer, Adler)

Sonntag, 19. August 2007

yamas: ahimsa


ahimsā

Nicht-Verletzen, Gewaltlosigkeit, Vermeidung von Gewalttätigkeit


Aus ist es mit dem Weitausholen wie früher,
vor und zurück durch die Jahrhunderte.
Kann nur noch von einem Tag zum andern denken.

Meine Helden sind nicht mehr die Krieger und Könige,
sondern die Dinge des Friedens –
eins so gut wie das andere.
Die trocknenden Zwiebeln
so gut wie der Holzstamm, der durch den Morast führt.

Aber noch niemandem ist es gelungen,
ein Epos des Friedens anzustimmen.
Was ist denn am Frieden,
dass er nicht auf die Dauer begeistert und
sich von ihm kaum erzählen lässt?

Der greise Erzähler der Menschheit,
im Film „Der Himmel über Berlin“

~*~*~*~

Der Weg wahrer Gewaltlosigkeit verlangt weit mehr Mut als die Anwendung von Gewalt.

M. Ghandi

~*~*~*~

Ein wandernder Mönch kam einmal zu einem Dorf, das von einer riesigen Schlange in Angst und Schrecken versetzt wurde. Der Mönch suchte die Schlange auf. Sie war ein prächtiges Tier: der Leib stark und anmutig, die Schuppen glänzten darauf, und der Schlangenkopf hob sich majestätisch auf und ab. Der Mönch setzte sich zur Schlange auf den Boden und lehrte sie Ahimsa.

Ein Jahr darauf kam der Mönch wieder in das Dorf. Die Leute waren glücklich und lebten ohne Angst. Da suchte der Mönch jene Schlange auf, die einst die Menschen das Fürchten gelehrt hatte. Was für eine Verwandlung! Das einst so anmutige, starke Tier war nun mager und zerbrechlich, sein Körper von Wunden übersät. Da fragte der Mönch die Schlange, was geschehen wäre. "Du hast mich Gewaltlosigkeit gelehrt und ich habe mich an deine weisen Worte gehalten", antwortete die Schlange. "Aber jetzt haben die Menschen keine Angst mehr vor mir; sie spucken mich an, treten auf mich und werfen mit spitzen Steinen nach mir! Und nun sieh an, was aus mir geworden ist!" "Du hast Recht", sagte der Mönch, "ich habe dich Gewaltlosigkeit gelehrt, aber ich habe nie gesagt, dass du nicht zischen sollst."


Andy Goldsworthy, Dandelion Line


Mir fällt schon länger auf, wie schwer es ist, mit manchen Menschen ins Gespräch zu kommen, solange es nicht um die Heraburteilung (abwesender) Dritter geht; oder die Herabsetzung der eigenen Person. Erschreckend finde ich aber erst, wenn ich selbst halbautomatisch auf den altbewährten Eisbrecher "Raunzen" zurückgreifen möchte, um der Stille ein Ende zu bereiten.

Warum soll ich nicht verurteilen, verletzen, schlecht reden, denken oder handeln? Ich kann die Frage für mich beantworten, aber ich kann die Antwort (noch) niemandem erklärlich machen, der ihr nicht von selbst zustimmt. Ich weiß nur für mich: jeder verletzende Akt raubt mir Saft und Kraft.

Selbstbehauptung, gesunde Aggression, Abgrenzung und Durchsetzung verleihen mir hingegen Stärke, und zwar auf Dauer.

Wenn in mir Wut, Ärger, Zorn und Hass aufwallen, wohin lenke ich dann die Kraft, die hinter diesem Schwall liegt? Was tun mit Gewalt, wenn sie erst einmal da ist?

Die beste Vorbeugung scheint mir beständige Achtsamkeit in Gedanken, Worten und Taten.

Würde ich mich laut zu anderen Menschen so reden hören, wie ich manchmal mit mir selbst spreche, wäre ich über meine Bosheit, Gewalttätigkeit und Unnachsichtigkeit schockiert.


Je mehr ich Menschen (mich eingeschlossen) für Dummheit, Arroganz, Faulheit, Verbocktheit (etc. pp.) verachte und verurteile, desto mehr nehme ich mir am Ende selbst die Möglichkeit, Geduld und Nachsichtigkeit im Umgang mit meinen eigenen Fehlern zu erfahren.

Einmal habe ich mir gedacht, dass ich die Geschichte hinter jedem einzelnen ärgerlichen Verhalten meiner Mitmenschen erfahren sollte und keinerlei Wut oder Verurteilung wären mehr nötig. Ich selbst wäre dann um einiges leichter. Dann allerdings würde ich vielleicht dem Irrglauben aufsitzen, es gäbe tatsächlich Geschichten, die meine Gewalt verdient hätten. Nach näherer Betrachtung denke ich, wahre Gewaltlosigkeit zeigt sich, wenn sie sogar dann angewendet wird, wenn die Beweggründe der Mitmenschen nicht erkannt oder verstanden werden. Ahimsa "grundlos" und "unwissend", für jeden und in allem zu praktizieren, bedeutet, vollkommen von ihr durchwirkt zu sein. Man tut dann nicht Ahimsa, sondern verkörpert sie.´

Andy Goldsworthy


Dem Körper keine Gewalt antun – klingt ganz einfach, ist aber für mich und wahrscheinlich noch viele andere Westler, die Yoga vor allem als Körperarbeit kennen und betreiben, besonders schwierig. Bei Yoga im Allgemeinen geht’s nicht um „wie weit?“, „wie hoch?“, „wie viel?“ oder „wie schnell?“. Sondern um: „Wie ganz gelingt es mir da zu sein, wo ich bin?“

Das weiß ich zwar schon lange, trotzdem erwische ich mich gern dabei, ein Stückchen zu weit in die Dehnung zu gehen, oder eine Übung zu viel zu machen – um mir etwas zu beweisen, meinem Körper etwas abzuringen, o. Ä. Mein Körper mag noch so sehr nach Entspannung schreien – mich ganz ohne ein bisschen Schwitzen einfach in die regenerativen Asanas zu begeben, braucht nach wie vor viel Überwindung.

Wirklich achtsam und gewaltlos vorzugehen, bedeutet einige Minuten Innenschau vor jeder einzelnen Yogastunde. Nur so kann ich Bedürfnisse erkennen, Abläufe fein abstimmen, Schwerpunkte legen und die Posen danach auswählen. Nur so lassen sich das richtige Maß an Muskelan- bzw. Entspannung, die richtige Mischung zwischen herausfordernden und entspannenden Posen, und der passende Rhythmus ermitteln. Das zeigt, dass Gewaltlosigkeit mit anderen Yamas und Niyamas Hand in Hand geht. Ahimsa erfordert Ehrlichkeit mit mir, Selbstkenntnis, Mäßigung – zugleich aber auch Disziplin, Mut, Hingabe.


Samstag, 18. August 2007

Die Yamas - allgemein


Die Yamas sind fünf moralisch-ethische Prinzipien, die Patañjali in den 8 Gliedern (Ashtanga Yoga) als erstes nennt. Diese acht Glieder sind allerdings nicht als Stufen zu sehen, die man nur eine nach der anderen erklimmen kann oder darf, sondern sie durchwirken einander vollkommen. Sie sind nicht voneinander getrennt und können im strengen Sinne auch nicht getrennt voneinander geübt werden. Ziel dieses Weges ist es zunächst, Unreinheiten in Körper, Geist und Seele zu beseitigen, dann folgen das "Licht des Wissens" und Wahrnehmung/Erkenntnis der Wirklichkeit.

Bild und Skulptur: Andy Goldsworthy



Die Yamas nennt Patañjali vielleicht zuerst, weil sie seiner Meinung nach wirklich für jeden Menschen Gültigkeit besitzen, ob Bauer oder Beamter; Yogi oder Politiker. Die fünf Yamas sind Gewaltlosigkeit, Ehrlichkeit, Nicht-Stehlen, Mäßigung und Nicht-Anhäufen. Im 31. Sutra schreibt Patañjali, dass diese Grundsätze weder an den sozialen Stand, noch an spezielle Umstände, Örtlichkeiten oder eine bestimmte Zeit gebunden sind. Er bezeichnet sie als mahâ–vratam, das große, universelle Gelübde.

Mittwoch, 15. August 2007

Am Fuße der Acht Stufen

Man soll sich vor einem Talente hüten,
das man in Vollkommenheit
auszuüben nicht Hoffnung hat.


Goethe





Ich übe seit ca. 7 Jahren Yoga. Ich habe also zu einer Zeit begonnen, wo Yoga zwar verbreitet, ihm aber noch ein leicht verweihräucherter, in ökologische Wallekleidung gehüllter Ruf anhaftete. Das ist jetzt nicht mehr so, Yogastunden gehören für jeden In-Menschen dazu; Öko ist jetzt auch super: ökologisch abbaubare Yogamatten, Yogahemden, Yogahosen, bzw. ökologisch angebaute Yogatees, Yogakekse oder Yogaöle. Überhaupt kriegt man so ziemlich alle Hilfsmittel, die man braucht oder nicht: Yogaschuhe (wahrscheinlich zum stilgerechten Hinein- und Hinausspazieren aus dem Übungsraum, denn Yoga geht an und für sich barfuss); Zehenstrecker (?); Augenkissen aus allerallerfeinster Seide; Gurte aus ebendieser, Kannen, Pölster, Kerzen, Blöcke, Kisten, Decken, Seile, Matten, Untermatten, Schmuck und Düfte.

Das finde ich weder gut noch schlecht – das Dickicht an Behelfsmitteln und Zubehör lenkt allerdings den Blick immer mehr auf einen Teilbereich des Yoga, nämlich die Körperübungen; ein Teil, auf den auch ich vor kurzem noch am meisten Wert gelegt habe. Mit dem neuen Lebensjahr aber kommen frische Neugier und neue Bedürfnisse; unbekannte Ufer sehe ich am Horizont auftauchen, die ich erkunden und erforschen möchte.

Mein Yogastudio hat die Preise erhöht und ist nun endgültig so unleistbar für mich wie alle anderen Yogaschulen in der Stadt. Ich investiere also in gute Literatur und das sorgfältige Ausbauen und Weiterentwickeln meiner Heimpraxis. Ich habe beschlossen, mich nun verstärkt der Yogaphilosophie des weisen Patañjali (zw. 2. Jh. v. Chr. und 2. Jh. n. Chr.) zu widmen. In seinem Yogasutra - dem Haupttext des klassischen Yoga – beschäftigt er sich mit der Natur des menschlichen Geistes. Dessen „negative“ Zustände (Unruhe, Verwirrung, etc.) sieht Patañjali als Hauptgrund für menschliches Leiden. Er filtert fünf Haupthindernisse (Kleshas) für die Entwicklung des Geistes (und damit des Menschen) heraus.
Der Weg aus der Verknotung in die Befreiung geht für Yogis also über den Geist. Das Ziel:

Wenn das Denken im Selbst ruht,
die Begierden bewältigt sind und auch Wünsche
nicht mehr stören,
dann ist das Yoga-Ziel erreicht.



Bhagavadgita, 6, 18


Patañjali schlägt einen achtstufigen Weg vor (Ashtanga Yoga), der das gesamte Wesen des Menschen umfasst. Die acht Glieder des Ashtanga bilden einen Leitfaden, kein Muss, und sie greifen ineinander. So sehen sie aus:

1.) Die Yamas. Das sind fünf universelle ethische Prinzipien zum Umgang mit der Außenwelt:

  • Gewaltlosigkeit
  • Wahrhaftigkeit
  • Nicht-Stehlen
  • Mäßigung
  • Nicht-Anhäufen

2.) Die Niyamas. Das sind fünf Qualitäten im Umgang mit uns selbst. Wie wir mit uns selbst umgehen, zeigt sich am Besten, wenn wir alleine und unbeobachtet sind, meinen die Yogis.

  • Reinheit
  • Zufriedenheit
  • Disziplin
  • Selbsterkenntnis
  • Hingabe und Vertrauen

3.) Asanas. Das sind sie, die Körperhaltungen. Was wir also heute als Yoga verstehen, ist die dritte Stufe in Patañjalis achtgliedrigem Gebäude. Patañjali spricht überhaupt nur von einer Haltung, nämlich dem Lotussitz. Seine Anweisung wie ein Asana zu sein habe, ist frustrierend kurz und genial präzise: stabil und leicht.

4.) Pranayama, die Atemlenkung, Atemführung

5.) Pratayahara, das Zurückziehen der Sinne; Einfahren der Antennen.

6.) Dharana, die Konzentration.

7.) Dhyana, die Meditation.

8.) Samadhi, die Verschmelzung, Hingabe und Glückseligkeit.


~*~*~*~

Am Anfang eines solchen Weges steht die Frage nach dem Beweggrund und dem Ziel:
Ich mag es, meinem Leben einen Rahmen zu geben; ich genieße Rhythmen (beim Atmen; Arbeiten und Ruhen; Hinaus- und Hineingehen).
Ich habe gerade ein Bedürfnis nach Vervollständigung und einem Tiefersinken in meine Praxis.
Da ich besonders mit Asanas, aber auch mit Atemübungen und Meditation vertraut bin, finde ich es angebracht, mich auch den übrigen Disziplinen des Yoga zu widmen. Wenn ich schon dabei bin.
Ich strebe nichts an, außer einer Vertiefung. Mein Ziel ist nicht das oben beschriebene, sondern ehrlich gesagt nur eines: lernen und tanzen.
Daher möchte ich mich jetzt jede Woche mit einem oder mehreren der Teile auseinandersetzen; auf und jenseits der Matte. Was ich hier schreiben werde sind Auszüge aus meinem Notizbuch, Gedanken und Fragen, die sich zu den einzelnen Schritten in der persönlichen Anwendung auftun.

Ich wünsche mir (und Euch…) viel Spaß auf der Reise…

Mittwoch, 1. August 2007

auferstanden


Also, ich bin ein ungemein glücklicher Mensch. Nämlich: direkt mit einer Shiatsu-fachkundigen Person verwandt. Das bedeutet, dass ich mich auf die Matte legen kann, wann immer es uns gerade gut passt. Und ich zahle nix dafür. Das ist vermutlich der größte Luxus in meinem Leben (dessen Luxuriösität ich mir zusätzlich auch bewusst bin).

Gerade ist mir der Psoas massiert worden, und eine Sehne an der Hüftbeuge. Der Psoas ist ein riesiger Muskel der von der Nierengegend in die Oberschenkel hinunterreicht, und damit Ober- und Unterkörper verbindet. Er liegt sehr tief und ist gerne verspannt - das kann zu Fehlstellungen im unteren Rücken führen (nach vorn geknicktes Becken, usw.). Mein Psoas, das hab ich bei der Behandlung gespürt, ist also derjenige, der anatomisch hinter diesem so lange anhaltenden, leicht verkrampften und gestauten Gefühl im Unterbauch steckt.

Ich arbeite immer noch ausgiebig am Thema Bauch, es hat sich viel bewegt seit den letzten Einträgen dazu. Ich bin den Hintergründen meiner Scham-, Hass- und Wutausbrüche auf die Schliche gekommen, die immer dann in mir hochgebrandet sind, wenn ich mir meines Bauches bewusst wurde. Verbunden damit ist auch der leichte, aber chronische Energiestau im Unterleib.

Mein Bauch, der ist eigentlich völlig normal (was ich im Hirn auch weiß), und mir hat auch nie jemand gesagt, dass ich mich für mein Aussehen schämen sollte. So hab ich mich aber immer gefühlt. Du bist hassenswert, mit so einem Bauch. Und du bist verachtenswert, weil du ihn nicht unter Kontrolle hast. So kann dich ja kein Mensch schön und liebenswert finden!

Es war mir immer ein Rätsel, woher diese so fest verankerten Absurditäten kamen, die mit meinem Spiegelbild nicht vereinbar sind. Aber die Scham, der Hass, die Wut und der Ekel auf/über mich selbst "passierten mir" immer wieder in einem beängstigenden, und absolut ernstzunehmenden Maße.

Der Knoten ist aufgegangen - es war einfach, aber eben nicht einfach zu erkennen:
Mein Bauch hat die Gefühle der Mutter für den Vater geschluckt. Und die Gefühle des Vaters für seinen eigenen Körper genauso. Abneigung und Schuld, Ekel und Scham.

Da trifft eigentlich niemanden die Schuld - trotzdem tut es gut, den ganzen Krampf beim Schopf zu packen und zurück zu den "Besitzern" zu schicken. Ganz neutral und klar. Und anscheinend tut meine Loslösung auch allen anderen Beteiligten sehr gut.
Ich bin aufgrund dieser Erkenntnisse noch nicht dem Aktionismus verfallen. Ich genieße. Zum Beispiel mir auf den Bauch zu greifen und das Zusammenzucken zu verstehen. Dann drüber hinaus zu gehen, und mich zu trauen, diese Wölbung wirklich zu spüren, mit dem Verständnis der ganzen Situation im Hinterkopf. Jenseits vom Verachtenswerten, vom Mal meiner Unfähigkeit, entdecke ich diese Region. Nichts, was ich verbergen müsste, damit keinem auffällt, was für ein hässlicher Mensch ich in Wirklichkeit bin. Da ist eben ein Bauch, so wie da weiter oben auch ein Hals ist, oder unten ein Paar Knie. Das ist eine ganz neue Entdeckungsreise für mich. Meinen Bauch als eine ebenso spannungs-freie Zone zu erleben, wie meinen Hals, oder meine Knie, oder den Hinterkopf...

Also - es fühlt sich aufgelöst an, und ich mich auferstehend.

~°~°~°~

Das schreibe ich übrigens in Anlehnung an die Kommentare zu Ingrids Eintrag wahrheit und zorn. Da kam die Diskussion/der Vorschlag auf, Gefühle & Gedanken die in einem aufsteigen, nicht immer sofort mit vergangenen Geschichten in Verbindung zu bringen. Kurzum, die Geschichte nicht immer wieder wiederzubeleben durch frisches Futter, und auch die Gegenwart nicht als "Reaktion" auf Vergangenes zu sehen, sie nicht immer auf das Geschehene zu beziehen. Völliges Jetzt also.

Ich fühle mich der Jetzt-Sicht des Lebens sehr verbunden. Ein glücklicher Tag ist für mich einer, der von lauter Jetzt erfüllt ist, und ich sehe auch, dass ich mich, je mehr ich mich weiterentwickle und Ballast abschüttle, immer mehr im Moment verankere und dort auszuharren vermag. Im Fall meiner Bauch-Geschichte allerdings war der Abstecher in die Verangenheit nötig. Es hat mich immer wieder gewurmt, dass ich einfach nicht begreifen konnte, woher diese Urteile über mich kamen, mit denen ich mich immer so vernichtet habe. Ich war ratlos und wusste daher auch nicht, wo anpacken an meinem Problem. Letztendlich hab ich in der Rückschau und Erinnerung gefunden was ich gebraucht habe, nämlich das grundlegende und not-wendende Verständnis für die Natur meines Bauch-Kampfes.

Donnerstag, 26. Juli 2007

gebaut, gekocht, gegessen


Das ist er also, der ominöse Solarherd in Trichterform.
Hier (nach 30 min. Bauzeit) das erste Mal in Betrieb.

Den hab ich deswegen gebastelt, weil ich neugierig war.
Ob die Sonne wirklich meine Erdäpfel weich kriegt, mir ein Brot bäckt und das Teewasser aufkocht?
Ob das wirklich so einfach geht?
Ob das eine Alternative ist zum normalen Kochen?
Wie kochen eigtl. Menschen in Gebieten, wo Strom nicht ist, und Brennholz zum Kochen Mangelware geworden ist? Ursprünglich wurden ja viele Solarherde für eben solche Problemfelder entwickelt.
Unsereins kanns ja auch nicht schaden, sich im Hochsommer einmal von der Sonne bekochen zu lassen.
Also: geht das?
Das Ergebnis:
  • Es geht!
  • Diverse Bauanleitungen gibt es hier: http://www.solarcooking.org/ Für jedes handwerkliche Geschick und Geldbörsel. Ich hab für meinen Solarherd alles im Haus gehabt, bzw. den großen Karton einfach aus dem Altpapier gefischt. Nur Einmachglas und schwarzen Lack musste ich kaufen. (Das sind - öh... 6 €)
  • Bauzeit: 30 min., Schwierigkeitsgrad: sehr einfach.

Werden Dinge wirklich gar?

  • JA! Vor allem: der Behälter wird heiß, SEHR HEISS! Also, nicht wie ich die Sonnenkraft unterschätzen und ohne Handschuhe hantieren. Sonnenbrille ist auch ein Muss.
  • Allerdings: es braucht eben seine Zeit. Je weiter weg vom Äquator desto mehr, klarerweise. Mit Sonne direkt überkopf geht's natürlich am Schnellsten. D.h.: die Konstruktion gegen 11 in die Sonne stellen, und gegen 14 Uhr wiederkommen, dann isses meist geschafft. Wer das Glück hat, eine große, freie Fläche zu haben auf die kein Schatten fällt, muss den Solarherd noch nicht einmal weiterdrehen (sonst ca. alle 1 1/2 Stunden). Umrühren oder Kontrollieren ist auch nicht nötig. Dinge können nicht anbrennen. Reis o.Ä. sollte man vielleicht aber einmal schütteln, damit er schön gleichmäßig gekocht wird.
Und so schaut's dann aus:

Klein geschnippeltes Allerlei, eine Geschmacksbombe sondergleichen!

das spricht dafür:
  • Demjenigen, dem so wie mir (rein zufällig übrigens) der Strom abgedreht wird, erklären sich die Vorteile von selbst, denke ich.
  • Wer Hitze und Sonne hat, und vielleicht Stromkosten sparen möchte, kann's ja auch einmal probieren. Ich erinnere daran: ich habe Essen gekocht in Österreich, in einem etwas überschatteten Garten. Also: wer will, der kann.
  • Der Geschmack! Ich bin ein Gourmet, ja wirklich. Und ich bin völlig von den Socken. Ich würde ja jedem so einen Herd empfehlen, einfach um einmal zu erleben, was sonnengeküsst wirklich bedeutet. Gemüse z.B. kann ja ganz und gar in seinem eigenen Saft garen, der dabei aber nicht verloren geht. Es wird weich, aber nicht lasch. Ich selbst wusste gar nicht, wie viele subtile Noten so ein bisschen Zwiebel und Tomate eigentlich haben kann.
  • Das Essen wird schnell zusammengeschnippelt, eingefüllt und durchgeschüttelt. Dann kann man es sich selbst überlassen. Sehr praktisch.
  • Im Campingurlaub ist ein Sonnenherd als zusätzliche Kochhilfe sicherlich auch nicht zu verachten.
  • Aus Gründen reiner Neugier, puren Forscherdranges und zur Weiterbildung macht mir der Solarherd großen Spaß. Die Energie der Sonne so angewandt zu erleben, zum Beispiel, ist schon interessant. Ich kann mir vorstellen, dass Kinder an sowas ihre Gaudi haben könnten.

und das spricht dagegen:

  • Das Kochen mit Solarherd ist stark an Höhen- und Wetterlage gebunden. Bei obiger Konstruktion ist Wind allerdings kein Problem.
  • Es braucht zu Beginn ein bisschen Experimentierwillen und Geduld.
  • Fastfood geht klarerweise net. Je nach Gericht (vom einfachen Wasseraufkochen bis zum Fleischgaren) braucht's zwischen 1-3 Stunden.
  • Mit Solarherd wird dann gekocht, wann im Sommer normalerweise niemand essen will; nämlich zu Mittag. Die Konstruktion einfach stehen zu lassen hält das Essen allerdings für einige Stunden warm und verkocht es auch nicht. Für total Motivierte gibt es die Möglichkeit, sich einen sogenannten Heuofen zu bauen, ebenso einfach und billig wie der Solarherd selbst (Anleitungen auch auf solarcooker.org), der das Essen ganz ohne Strom ewig heiß [!] hält.
  • Wer für mehr kocht als für 2-4, muss sich einen größeren Herd bauen (oder einen zweiten).

So, ich geh jetzt essen.

Freitag, 20. Juli 2007

darots es?

Um Sam vom Rätselerfinden (Oisamdaron) zu entlasten, springe ich ein. Also:

Was ist das?


(Hinweis: es ist praktisch, schlau, und heiß.)

Samstag, 14. Juli 2007

tauchen


Da wach ich auf und alles riecht so wie schon immer, und die Tanne weht vorm Fenster, und die Geräusche sind die selben, wie lang hab ich geträumt?

Ich war in dieser Stadt, und meine Füße waren leicht auf dem Kopfsteinpflaster, und da war immer Wind. Frischer Wind, und Wolken. Und an der Ecke ein altes Haus wie absichtlich verlaufen, hat eine winzige Küche, es riecht so gut und ich schneide eine riesige Zwiebel. Daneben steht ein Mann der sein Herz in den Augen trägt, er hält eine unsichtbare Hand in meinen Nacken. Es wird warm, und ich platze und fließe ganz still in die Welt.
Ich setze die Weltkugel in mein Herz, höre sie in mir klopfen. Der Rhythmus wird zu einem Gebet, zu den Wellen am Strand von Platamon, und Gott räkelt sich und lacht und sitzt im Schneidersitz in meiner Brust.

Langsam erscheint am Meeresspiegel Iris, ich falle in die Pupillen freundlicher Augen. Durch ihr rundes Fenster schwimm ich, dahinter alle anderen Menschen. Ein Wirbel aus Sehnen und Streben, darüber Ordnung. Wie eine Mutter fühl ich mich, ganz eins mit jedem Wesen als läge es an meiner Brust. Von überall her Nebel, warme Schwaden, legen sich um unsere Schultern, strecken sich durch uns durch zum Nächsten. Alle verknüpft, und Atem von allen Seiten, der Himmel dreht sich, die Sonne wird mild, ich blicke zu Boden, eine Blume im Beton.



Ich schiebe die Decke weg, kühle Luft um meine Zehen. Der Mann an dem alles Offenheit und Liebe ist, liegt neben mir, eingerahmt. Doch kein Traum. Ein Kater in meiner Stirn, Trägheit, ein Blick durch die vertraute Zimmerschachtel. Doch ein Traum. Ein altes Ich klebt hier in den Ritzen, das mich ganz unrund macht. Gerade keine Kraft um es rauszuschmeißen. Gerade genug Kraft, um mir Ausreden zu basteln. Ein Tag dehnt sich vorüber, Stille, Stille, Stille aushalten. Der Tee rollt warm über die Zunge. Das Hirn geht plappernd nebenher.

Stille, Stille aushalten. Tauchen. Noch ein Zug, und noch einer. Hier, irgendwo in den Wellen, irgendwo im Atem, irgendwo im Dunklen müssen sie doch sein, die Pupillen. Finden. Finden und durchtauchen.

Dienstag, 26. Juni 2007

gekauft, getragen, geliebt!

So, Achtung, hier geht's um Hygieneartikel für die Menstruation. Wer das grauslich findet, liest bitte woanders weiter.
Also, gekauft und getestet habe ich die Mondtasse (oder auch Mooncup), eine kleine, glockenförmige Tasse aus Silikon, die wie ein Tampon getragen wird. Warum hab ich das getan?
  • Wegen der Aussicht, nicht in jeder Tasche ganze Tampon-Herden horten zu müssen.
  • Weil man ihn laut Werbung einmal kauft und 10 Jahre lang benützt (natürlich nur bei entsprechender Pflege).
  • Weil er die Schleimhäute nicht austrocknet, und dabei so toll wie in Tampon ist (unspürbar und unsichtbar).
  • Weil er keinen Müll erzeugt.
  • Weil er keine Baumwolle braucht, die wiederum Wasser braucht, usw. usf...
  • Weil er angeblich so praktisch und unproblematisch und sauber ist.

Und?

  • Ja. Zu allem. Er hält wirklich was er verspricht. Nur das mit den 10 Jahren weiß ich noch nicht.

Bestellmöglichkeiten z.B. in Österreich oder Deutschland.

Sonntag, 10. Juni 2007

umleitung

Geehrte Leserschaft,

ich habe beschlossen, meine Reiseberichte aus Gründen der Einfachheit nur auf meinem englischsprachigen Blog zu veröffentlichen. Zur Seite hier lang.

Danke übrigens für die guten Wünsche zum Aufbruch - ich freue mich sehr darüber! Kann sie auch gut gebrauchen: wär schon ein paar mal fast überfahren worden... :)

Dieser Blog wird aber nach wie vor für Tiefergehendes, Möchtegern-Philosophisches und andere Gedanken genützt werden!

Herzlichst,
die Bloggende

Montag, 4. Juni 2007

so.

Mein letzter Kaffee in diesem Zimmer hier. Die Wände sind leer, die Regale auch - der Inhalt eines ganzen Zimmers in einen Koffer gequetscht.

Ich sitze dort, wo ich sonst nie sitze, nämlich in der Ecke, keine Ahnung weshalb.

Muss noch staubsaugen. Und mir den Busplan ansehen. Schon komisch, wieder mit einem ÖVi zu fahren - mein treues Rad hab ich für 600 SEK verhökert. Keine blauen Flecken mehr am Hintern (Federung gibt's nicht). Nächstes Jahr fährt ein anderer Mensch auf dem blauen Monark-Rad ins Abenteuer. Hoffentlich.

Ich mag das Gefühl - wenn das Leben in einen Koffer passt.

Seh vor meinem Fenster noch einmal das geziegelte Reihenhaus mit der kriminell türkisen Fensterumrahmung. Am Anfang kam mir all der Ziegel so trostlos vor. Das passt schon, denk ich mir, und hör die Waschmaschine hysterisch piepsen. Ah, was hab ich diesen Piep gehasst...

Ich mag das - Nomadin sein. Ein Tuch um die Schulter, ein Buch in der Hand. Tasche, Pass, Notizbuch, vielleicht eine Kamera? Die Lungen zum Atmen, die Füße zum Gehen, die Augen zum Sehen. Nichts weiter, nichts mehr. Sogar die Trauer genieße ich, denn schießlich ist es die Trauer der Nomadin...

ah, Leben, trag mich weiter!

Montag, 28. Mai 2007

rückblick


Heute hat meine letzte Woche hier in Schweden begonnen. Im Frühjahr hab ich mit der Rückkehr noch gehadert, jetzt fühlt es sich richtig an. Ich bin neugierig, was als nächstes kommt.
Zeit für Rekapitulation. Weil's Spaß macht. Aber auch um mich auf die "Na, wie war's?"-Frager vorzubereiten.

Wie war's eigentlich?

Schön war's/ist es noch!
Bewegend, in vielerlei Hinsicht. Sich an einen Rand bewegen, im Inneren und im Äußeren, bringt neue Ideen, neue Einflüsse, neue Ängste, neue Herausforderungen.
Bewegung war immer da - entweder zu Fuß oder mit meinem hellblauen Rad über die Kopfsteinpflaster, mit dem Zug durch Schweden und Dänemark, mit dem Bus an ein paar andere schöne Ecken. Achja, und Yoga. Soll ich das schon wieder erwähnen? Ich bin einfach überrascht, dass ich mich einer Aktivität derart ausdauernd und beständig widmen kann (obwohl, naja, stur war ich immer schon)...

Aufrüttelnd. Was den derzeitigen Zustand der Welt anbelangt, habe ich hier so viel gelernt, dass ich manchmal ganz gerne wieder vergessen würde. Jeden Tag kommt praktisch etwas neues dazu. Gestern habe ich zum Beispiel Vergleichsbilder der alpinen Gletscher gesehen: 1900 (vorher), 2005 (nachher). Was soll ich sagen: das Eis is futsch. Den Touris fällt das halt nicht auf. Ich hätt auch nicht gemerkt, dass da einmal viel mehr Weiß war. Wenn ich solche Dinge sehe, werden meine Augen dann doch nass - weil's meine Heimat ist. Und weil mich die "Mir wurscht!"-Haltung, die mir immer wieder begegnet, manchmal einfach aus den Schuhen schmeißt.


Jeden Tag ist hier ein bisschen mehr Wissen dazu gekommen: aha, meinen alten Fernseher schmeißen sie auf die Müllhalde Nigeria, ... , aha, ein Kilo Erdapfel benötigt 5% des Wassers, das ein Kilo Rind verbraucht, oh - es gibt sowas wie Permakultur?, aha, so funktioniert Politik; achso, wenn der Himalaya schmilzt, gibt's für die großen Flüssel in Asien kein Wasser mehr, und damit keinen Reis?; mhm, in Malmö gibt's einen ganzen ökologischen Stadtbezirk!; stimmt, "nachhaltig" und "Entwicklung" schließen sich aus, weil man nicht nachhaltig immer mehr produzieren kann; mal nachrechnen: wieviel Baum braucht eine 100km Autofahrt? - aha, 6 Stück; schau mal, in Schweden sind die Tomaten aus Holland billiger als die aus Schweden!; und wo kann ich in meiner Stadt eigentlich mithelfen?

Herausfordernd. Und dann noch die allerhärteste Lektion von allen: es gibt Menschen, die sich das vollkommen am Arsch vorbeigehen lassen. Denen Veränderung furchtbar Angst macht (ich meine, mehr als dem durchschnittlichen Erdenbürger). Die das Lernen offiziell mit dem Schulabschluss an die Wand genagelt haben. Die nicht einsehen, warum sie nicht jeden Tag shoppen und verschlingen sollten. Oder die einfach nicht erkennen können, dass etwas falsch läuft. Damit zumindest könnte ich leben.
Aber oft sind das eben auch jene Menschen, die den Einsatz anderer schlecht und lächerlich machen, die Zucker in den Motor schütten und sich querlegen. Mich davon nicht totschlagen zu lassen, daran arbeite ich noch. Und beruhigenderweise hab ich auch massenhaft Menschen kennengelernt, die mir allen Grund zur Hoffnung geben.

Klärend. Wovon ich erfahre, dass es mir und anderen schadet, nehme ich Abschied. Je mehr Dinge ich aus meinem Leben befördere, desto zentrierter fühle ich mich. Meine Selbstsicherheit ist gewachsen, weil ich sehe, ohne wieviel Dinge ich trotzdem noch immer bin! Das hab ich zum Beispiel beim Yoga gelernt: je mehr ich mich in einer Pose von der Peripherie (Füße, Hände) in die Mitte hinein bewege, je mehr ich alles in das Zentrum hole, desto mehr kann ich mich aus diesem starken Zentrum in die Pose entfalten, ohne meine Standfestigkeit zu verlieren. Dann ziehe ich mich nicht aus den Ecken meines Körpers in die Länge und ignoriere meine Anatomie, sondern dehne mich aus der Mitte heraus. Das lässt sich aufs ganze Leben übertragen.

Hingabe. Es steht fest: mein Leben, meine Talente, meine Entfaltung, möchte ich in den Dienst stellen. Wenn ich Dinge lerne, können sich andere dieses Wissen leichter aneignen. Gleichzeitig motiviert mich diese Aussicht ungemein, und gibt selbst den kleinsten Dingen die ich tue, Bedeutung. Achtsamkeit, Liebe, Neutralität, ... - je mehr ich mich darin übe und meine Erkenntnisse allen zur Verfügung stelle, desto mehr bekomme ich zurück.

Bezaubernd. Ein bedeutender Motor hinter all dem ist ein ganz besonderer Mensch. Ja, auf diese Art Beziehung, wie ich sie in den vergangenen Monaten gelebt habe und jetzt lebe, hab ich schon lange hingearbeitet. Das scheint vielleicht der kleinste Abschnitt in diesem Eintrag, aber in Wirklichkeit war das der größte!

Inspirierend. Ich habe einen Haufen neuer Ideen, aufgepasst!

Zuerst geht's aber noch für einen Monat auf Insel-Hoppen in Griechenland. Um die Landung nach Österreich abzufedern...

Freitag, 25. Mai 2007

anschauen!

Hier kommen die Links zu einer preisgekroenten Schwedischen Doku-Serie namens "Der Planet". Wer Zeit und Lust hat, klickt sie an, ignoriert das Schwedische Geschwafel am Anfang und die Schwedischen Untertitel dazwischen - der Rest ist auf Englisch. Ausserdem gratis. Und richtig gut. Viel Vergnuegen!

The Planet - Teil 1
The Planet - Teil 2
The Planet - Teil 3
The Planet - Teil 4

Sonntag, 29. April 2007

nachtrag zum bauch

Nachtrag zum vorigen Post:

Ich hab mir vor kurzem die Doku "thin" angesehen (gibt's auf YouTube in mehreren Teilen). Das Ganze spielt sich in einer Klinik für essgestörte Frauen ab, in diesem Fall ess-brech-süchtig, hungernd usw. Hab mir das angesehen, weil ich wissen wollte, wie Profis an Essstörungen und das damit verbundene Körperbild herangehen.

Ich habe den gesamten Aufbau dieser "Therapie" aber als so verkehrt und falsch empfunden, so am Problem vorbei, dass ich fast schon lachen musste. Für mich war relativ schnell klar, dass keines der Mädels da "geheilt" wieder rauskommt, und tatsächlich hingen diejenigen, die nach der Entlassung dokumentarisch begleitet wurden, kurz danach wieder über der Muschel, nahmen rapide ab usw.

Schafe essen sich rund

Grundsätzlich sind Essstörungen eine vollkommen selbstbezogene, egozentrische Krankheit, gekoppelt mit wenig bis gar keinem Selbstgefühl. Die Welt besteht nur aus dem eigenen Bauchnabel, den Schenkeln oder sonstigen Problemzonen; bzw. dehnt sich die Bedeutung dieser Zonen so weit aus, bis sie die ganze Welt auszufüllen scheinen. Nichts anderes kann dann noch wichtig sein, und gleichzeitig hängt das ganze Lebensglück eines Menschen dann von diesen Teilen ab.

Die Klinik die in der Doku gezeigt wurde, bot (so schien's mir) vorwiegend Gesprächstherapie an, in Gruppen oder allein; es gab klarerweise strikte Verbote (kein Sport, kein Kotzen, kein Rauchen, kein Essenverstecken, keine Abnehmmittel usw. usf.), Zimmerdurchsuchungen, und dergleichen.
Es schien mir so, als würde sich alles nur noch stärker um die Probleme jeder einzelnen drehen. Die Aufmerksamkeit zog sich also immer weiter in konzentrischen Kreisen auf den Bauchnabel der Frauen zusammen - an einer Stelle, an der meiner Ansicht nach die Öffnung und Erfahrung der Welt außerhalb und um diesen Bauchnabel so viel heilsamer sein könnte.

Gockel aalen sich in der Sonne

Ich wäre wirklich interessiert an der Meinung einer, die sich vielleicht selbst schon in so einer Therapie befunden hat, oder noch befindet. Das Unaussprechliche aussprechen zu lernen, ist bestimmt ein wichtiger Teil der Heilung. Aber Worte ersetzen nicht die leibliche Erfahung. Ich hätte diese Frauen liebend gerne hinaus geschickt, zum Gärtnern, in Kindergärten, in gemeinnützige Einrichtungen, was weiß ich! Um ihr Weltbild zu öffnen, Geben und Nehmen zu erfahren, natürlichen Lebenszyklen wieder folgen zu lernen, und um ihnen Schönheit vor Augen zu führen, die vom Umfang des Bauchs völlig unabhängig ist.

Und um Himmels Willen - warum haben sie den Sport gestrichen? Wenn eine ihren Körper beständig aushungert, taubfrisst oder sonstwie totstellt (sogar mit übermässigem Sport), ist doch nichts wichtiger, als die eigene Haut wieder ausfüllen zu lernen, in wohliger, sanfter Bewegung, die kein anderes Ziel kennt als genau dieses Spüren?
Dieses stundenlange Reden hat mich so wahnsinnig gemacht - Sprache ist der tiefen Erfahrung und dem echten Lernen so hinderlich...

Kinder zeigen ihr wahres Ich

Befinde mich gerade selbst im ca. 4231sten Anlauf, mein Blickfeld endlich von diesem übermächtigen Bauch zu befreien. Ohne Zwang und Reißen, aber doch mit einer gewissen Bestimmtheit. Sam schreibt, dass es keinen Grund gibt, Dinge hinzunehmen, die wir nicht mögen - das stimmt. Aus diesem Grund habe ich vor ca. einem halben Jahr meine bis dahin unregelmäßige Yogapraxis radikal ins Zentrum gerückt, und bin seither beinah jeden Tag auf der Matte. Ich schwitze und atme mit größtem Genuss, könnte mittlerweile eine ganze Sau essen jeden Tag, fülle meinen Körper aus, kann im Augenblick bleiben, besitze so viel Disziplin, Körperweisheit, Standvermögen und Kraft, dass ich vor Freude platzen möchte. Das allerschönste ist, dass ich mir das alles selbst erarbeitet hab.
Und das ist der beste Beweis dafür, dass Minderwertigkeitsgefühle nichts mit der Realität zu tun haben - meinen Bauch find ich nämlich des öfteren noch beschämend formlos, madig und ekelerregend.

Das Schöne ist, dass ich beim Yoga den wahren Kern meiner Mitte erfahren durfte; wie sie meinen Körper zentriert, stabilisiert, wärmt und verwandelt. Sogar ohne all dies ist mein Bauch eine wunderbare Einrichtung, in der es sich gut zurücklehnen lässt. Das war wichtig für mich: den tieferen Sinn dieser Mitte zu erleben, wozu sie wirklich da ist (nicht zum Trimmen, Beschneiden, Verkleinern).

Die Reise geht weiter...

*°*°*°

Die Bilder stammen aus St. Hansgården in Lund. Ein Ort, an dem Tiere umweltfreundlich gehalten werden - alle Gebäude sind aus recycelten, abgerissenen Häusern, Strom kommt aus eigener Windturbine und Solarzellen und der Gemüseanbau erfolgt in Permakultur ("dauerhafte/nachhaltige Landwirtschaft"). Der große Garten befindet sich in einem Einwandererviertel mit relativ hoher Arbeitslosigkeit. Nach der Schule kommen die Kinder um zu spielen, zu helfen, und die Basis nachhaltiger Landwirtschaft zu erlernen. Schulen organisieren Lehrausflüge. Studenten und Freiwillige arbeiten ebenfalls dort. Die Auswirkungen sind überraschend: Kinder wollen kein Fleisch mehr essen, oder die Familie steigt auf hochwertigere Lebensmittel um, weil die anderen den Kindern "nicht so gut schmecken wie in Hansgården!"

Montag, 23. April 2007

Die Untoten - Teil 2

In der Mitte meines Körpers trage ich ein Schlachtfeld mit mir herum; es ist weich, weiß, hat Rundungen und zeigt nach außen keine Spuren der Verwüstung. Der Kampf muss in einer Zeit eröffnet worden sein, an die ich mich nicht erinnern kann, und aus diesem Alter bezieht er seine Daseinsberechtigung.

Der Konflikt hatte mehrere Phasen,
eine, in der ich ihm devot ergeben war,
eine, in der ich ihn zu hinterfragen begann,
eine, in der ich mittendrin stand und nicht wusste, was tun.

Aus Phase Eins bleiben Erinnerungen an wilde Scham vor der teigigen, breiigen Masse in meiner Mitte, Abscheu, Ekel, kochende Wut auf diese Entstellung. Der Spiegel, der eiskalt und nüchtern die 'Wirklichkeit' abbildet: eine Made, ähnlich denen, die sich ganz unten im Komposthaufen verkriechen - der Fuß möchte schnell zutreten, im Hals steckt ein Würgen. Manchmal bringt ein unbedachter Blick in spiegelnde Flächen die Made zum Vorschein - wie ein sorgloser Griff in den Dünger - Tränen steigen auf, es gibt nur mehr ein Ziel: schnell, schnell, ins sichere Versteck. Fruchtlose Versuche, die Schande abzukratzen, abzuschneiden, abzuschwitzen. Oder sie zumindest für ihre Schändlichkeit zu bestrafen.

Zeugen dieses Deliriums begegnen ihm mit Kopfschütteln oder mit Wut, weil anscheinend nur wirklich dicke und hässliche Mädchen Anrecht auf derartig ausgeprägten Selbsthass haben. Andere versuchen der Angel auszuweichen, von der sie denken, dass ich sie komplimenteheischenderweise ins Wasser halte.


Phase Zwei bringt die leise Ahnung, dass vielleicht in meinem Kopf was falsch ist, nicht mit meinem Bauch. Trotzdem, die Serie der mießlichen Lagen, in die er mich bringt, reißt nicht ab. Irgendwann beginnt sich das Bewusstsein für diese irdische Hölle in mir zu entwickeln, ich sehe meine Verstümmelung und Abstumpfung mit an - Bestrafungen, die ich als vollkommen gerechtfertigt empfand, haben jetzt einen bitteren, traurigen Nachgeschmack.

Phase Drei - mitten im Schlachtfeld und keine Ahnung, wo ich beginnen soll.
Ich sehe, dass ich selbst in völliger Abgeschiedenheit Schwierigkeiten habe, meinen Bauch freizugeben.
Meine Mitte ist abgeschaltet; wenn ich mich einfühle und sie einschalte, schwappen zuallererst Hass, Scham und Ekel über mich, dann Schmerz, dann Trauer. Ich übe, übe, gehe immer wieder hinein - es wird nicht weniger.
Meine Energieversorgung vom Unterbauch abwärts ist gekappt, besonders durch die linke Hüfte lasse ich nichts in die Beine. An schlechten Tagen bringt mich der Spiegel nach wie vor zum Weinen. Eine Berührung am Bauch kann sich anfühlen, als hätte ein Mensch meine beschämendsten Geheimnisse ins grelle Tageslicht gezerrt.

Wenn ich genau hinsehe entdecke ich unter all dem meinen wahren Bauch, ein zertrampeltes Etwas, seit meiner Kindheit von mir eigenhändig weggesperrt, abgeschnürt, abgeschoben. Es führt sein Leben im Dunkeln, ganz unbemerkt, holt sich was es braucht über Umwege, kriegt dafür zwar wieder eine drüber, ist aber zäh. Selbstmitleid kenne ich, aber Selbstmitgefühl für meinen Körper zu entwickeln, ist eine überraschend schwierige Aufgabe.

Ich bin zuversichtlich - das Bewusstsein öffnet sich nicht für Dinge, die es zu verdauen noch nicht bereit wäre. Ich würde meinen Bauch nicht hören, hätte ich nicht zur gleichen Zeit auch die Mittel, mir selbst zu helfen.

Aber ein paar Worte an die, die vielleicht schon einmal mit Ähnlichem konfrontiert wurden (ich denke, die Wahrscheinlichkeit dafür ist stetig steigend...):

Immer wieder bin ich der Aussage begegnet, dass gerade die Frauen "die es nicht nötig haben" unter ihrem ramponierten Selbstbild leiden. Darin schwingt die Annahme mit, dass es sehr wohl Menschen gibt, die allen Grund zu Selbsthass und Selbstbestrafung haben, und darin (und in nichts anderem) liegt das wahre Problem.

Zahllos waren die Versuche, mich mit Auflistungen meiner Schönheiten und Tugenden wieder aufzurichten. Es ist natürlich äußerst verwunderlich, wie sich ein zweifelsohne intelligenter Mensch manchmal für hoffnungslos blödsinnig halten kann, wie sich ein offensichtlich grünes Ding für rot hält, oder ein Normalgesichtiger für entstellt. Wir hoffen, dass wir durch ein blosses Auflisten der Intelligenz/Grünheit/Normalheit die Dinge wieder einrenken können, und übersehen, dass es sich für den jeweiligen Menschen um eine Wahrheit handelt, die schwer wegzuargumentieren ist. Im Gegenteil lernt das Hirn sogar, mit beiden Seiten zu leben, es richtet Parallelwelten ein, eine, in der es tatsächlich seinen liebenswerten, "normalen" Charakter erkennt, und eine, in der nichts anderes als Abscheu verdient. Das ist für Betroffene und Freunde gleichermaßen frustrierend, denn beide (!) Seiten wissen, dass der Kampf "nur" im Kopf entsteht und nicht echt ist. Oft tut es aber schon gut, den Hass auszusprechen und auszuspucken, ohne gleich ein kopfschüttelndes: "Ja, aber, du bist doch so..." zu hören.

Ich halte es außerdem für hilfreich, die Natur des Leidens erkunden zu helfen, und beobachten zu lernen, WAS es in einem Menschen verursacht, anstatt es blindlings als Hirngespinst zu erklären. Die meisten Probleme entstehen im Kopf und sind Folgen einer Wahrnehmung die nicht aus den Wahrheiten der Einheit und der Liebe entspringt. Aber nur weil sie in diesem Sinne falsch sind, sind sie nicht minder ernst zu nehmend, gefährlich und schmerzvoll.

Freitag, 13. April 2007

atmosphäre


Aus Geldmangel ging es zu Ostern "nur" für ein paar Tage über den Öresund - und obwohl Nordost-Dänemark und Südschweden eigentlich fast aneinander liegen, war es wie in einer anderen Welt...



Das Schloss Fredensborg (im Frühling und Herbst Residenz der Königlichen) und der Park lagen am Ostersonntag ganz un-auferstehlich wie eine lebendige Kontemplation zur Vergänglichkeit da. Alles ganz still - trotz dem Regen - , bröselnde Farben, Pfützen unter den Statuen...


Hat mich an den letzten Post erinnert, zur Schriftstellerei, und die Kommentare dazu. Donna Leon, die ist doch so berühmt für ihre Venedig-Atmosphäre - warum eigentlich?, fragte ich mich nach dem Lesen. Nachdem sie selbst dort lebt, drängte sich die Frage auf, ob vielleicht die Mehrzahl ihrer Leser Venedig nur von der Landkarte kennt? Vielleicht findet Donna ihre Zeilen nicht einmal besonders "venezianisch"?

"Atmosphäre", das ist wieder so ein amüsanter Kopf-Zerzwirbler. Ich fand Liebe in Zeiten der Cholera atmosphärisch, oder die Virgin Suicides, oder Die Toten Seelen... Trotzdem fragt sich, wessen Atmosphäre da aus den Buchseiten in mein Hirn aufgestiegen ist - die des Autors? Meine? Unsere?

Würde ich einem Autor ein Bild meiner Vorstellung malen, wie überrascht wäre er von dieser Welt, die durch seine Worte ins Leben gerufen wurde? Würde er nicht vielleicht gerne Hand anlegen, zur Korrektur? Ist das nicht überhaupt eine uralte Furcht der Schreiber, dass die Leserhirne mit ihren Ideen machen was sie wollen?

Ich meine diesen Einwurf überhaupt nicht so hochtrabend wie er vielleicht daherkommt - wir haben ja eine heilige Ehrfurcht davor, z.B. im Museum etwas anzugrapschen (würden aber gern), und wir sind froh darum, dass unsere Kunstwerke so gut vor feuchten Händen und schwingenden Rucksäcken beschützt sind.

Aber was ist mit den Büchern? Wie sorgfältig lernen wir da, den Absichten des Schaffenden zu folgen? Ist das überhaupt wünschenswert? So ein bisschen Freiraum tut doch auch wieder gut, manchmal. Wer kann denn überhaupt behaupten, er hätte die 500 Seiten verstanden, durch die er sich grade gelesen hat?


Hab mich mit meinem Museums-Beispiel grade selbst ins Aus geschossen, stelle ich fest - denn natürlich sind Kunstwerke generell genauso unsicher vor den Betrachterhirnen wie Bücher. Es braucht nicht einmal Kunstwerke oder fremde Betrachter: wenn ich mir zum Beispiel meine Fotos hier ansehe, scheint mir plötzlich alles viel trauriger, als ich es an diesem Tag tatsächlich erlebt habe.

Anderer Einwurf: hat vielleicht jemand die (ich muss gestehen irgendwie lustige) Diskussion zu den erloschenen Augen von Ingrids Sohn auf ihrem Blog mitverfolgt? Sie postete da ein Bild von ihrem Sohn, die Tochter auf den Schultern, mit etwas entleertem Blick. Dieser wäre mir, ich gestehe schon wieder, nicht weiter aufgefallen, hätte nicht eine Kommentatorin ihn als erloschen bezeichnet (der Zusammenhang ist mir entfallen, aber es war kritisierend/aufrüttelnd gemeint).
Daraufhin entbrannte eine heftige Diskussion, Ingrid erklärte, sie hätte ihren Sohn gebeten, "normal" zu schauen, was er prompt übertreiben musste. Erstaunlich fand ich die Spannweite der Interpretationen zu diesem Foto: müde, erloschen, tot, nicht weiter erwähnenswert...


Und noch etwas Überraschendes: stand an diesem Osterwochen-Ende an einem Ort, an dem ich nie zuvor gewesen bin, von dem ich aber genau so geträumt hatte (inklusive der Gebäude, der Geräuschkulisse und allem drum und dran).
Dieser Traum, nach wie vor einer der schönsten und bedeutungsvollsten meines geschlafenen Lebens, hat mich endgültig davon überzeugt, nach Schweden zu gehen. Er war stimmungsvoll (atmosphärisch, eben), voll Licht und Luft, befreiend - so ähnlich wie ein tiefer Atemzug neben Gipfelkreuz mit Blick ins Tal, obwohl alles nicht im Traum enthalten.

Ich war dann eigentlich nur überrascht von meiner Nicht-Überraschung. Aha, achso, ja, das ist ganz genau wie in meinem Traum... Sehr schön! Gut! Und jetzt bitte weiter, ich bin hungrig.

Dienstag, 27. März 2007

Die Untoten - Teil 1

I still do not know what impels anyone sound of mind to leave dry land and spend a lifetime describing people who do not exist. If it is a child's play, an extension of make believe - something one is frequently assured by people who write about writing - how to account for the overriding wish to do that, just that, only that, and consider it as rational an occupation as riding a bicycle over the Alps?

Mavis Gallant, Vorwort zu Ausgewählten Geschichten


Was die Vorsätze betrifft, sollte Neujahr im Frühling liegen. Mit dem frischen Wind kommen dann nämlich die Ideen für wirklich durchführenswerte Pläne; und wenn schon keine guten Ideen, dann doch zumindest der Elan, auch die schlechten anzupacken... Bei mir sieht das so aus: zwei Leichen möchte ich unter Einsatz all meiner Kräfte endlich aus dem Keller befördern. Und dann wiederbeleben.

Untote Nummer Eins: meine Schreiblust. Eigentlich ist ja allein dieser Blog eines ihrer deutlichen Lebenszeichen - aber irgendwie steht doch Blog zu Schreiberei wie ... mein Gott, wo bleibt der gute Vergleich? ... die Tischdecke zum Tellerinhalt, in etwa.

Der Friedhof meiner Schreiblust liegt in dichtbekritzelter Form in diversen Schubladen, Notizbüchern und Heften, oder, schlimmer, irgendwelchen Mülldeponien (verteilt in Europa). Ich schlage diese papierenen Friedhöfe in unregelmäßigen Abständen auf, jedes Mal in der Hoffnung, eine wundersame Buchstabenvermehrung anzufinden - irgendetwas, das besser ist als das, was ich beim letzten Mal zurückgelassen habe. Dann feile ich für ein paar Stunden/Tage penibel an einigen Grabsteinen, füge einen neuen hinzu und spaziere wieder davon.

Die Geschichten gewittern hinter meiner Stirn wie ein penetranter Kopfschmerz. Mehr als einmal wollt ich den Kopf an der Wand zerbrechen, oder das Hirn mit einer Nadel aufstechen, damit der juckende Brei endlich in geordneter Form aufs Papier gleiten kann. Doch mit Gewalt lässt sich der Schädel ungern zerbrechen, er liebt den "Flow" - und wenn ich dann gelegentlich fließe, fühlt es sich an wie Klo nach 12 Stunden Busfahrt: pure, beglückende Erleichterung.

Mein Kampf mit Adjektiven und Adverbien begann mit 8. Ich, an der Schreibmaschine, oder bewaffnet mit Karton, Schere und Faden mir Buchdeckel bastelnd, welche dann mit dem Getippten beklebt wurden. Später tatens auch Rechner und Drucker. Seit jeher befiel mich wilde Scham, wenn diese Texte in irgend jemandes Hände gerieten. Zwei oder drei Ausnahme-Menschen habe ich in Anfällen des Wahnsinns freiwillig Exzerpte meiner literarischen Bewältigungsversuche ausgehändig; nach wie vor fählt es mir schwer, nicht zu erröten, wenn ich daran denke. Mein innigster Wunsch ist es, eines Tages den Raum zwischen zwei Buchdeckeln selbstständig gefüllt zu haben, von mir aus ein einziges, ewig ungelesenes Exemplar. Diese Vorstellung fühlt sich an wie Zuhause. Daheim im Bücherregal.

Mitten im Studium eines ethnografischen Textes überkam mich vor einigen Wochen in der Bibliothek eine schriftstellerische Eingebung. Ich habe mich nicht vom Fleck bewegt, bis die Seite vor mir satt war. Die Erleichterung war doppelt: erstens, das Weiß war bezwungen. Zweitens lockerte das Erlebnis in meinem Hirn eine Schraube. Die Wahnvorstellung des Schreiber-Genies verflüchtigt sich nun langsam und ich begreife, dass ich grundsätzlich kann - es ist eine Sache von Zeit und Sturheit. Seither ist mir klar: die Leiche muss raus.

Ich würde jetzt gern ein Happy End folgen lassen, à la "Und sie schrieb stilsicher und flüssig bis an ihr Lebensende",
oder zumindest:
"Und durch den aufrichtigen Wunsch erblühten augenblicklich die zu Schreibblockaden versteinerten Geschichten und nie wieder zweifelte die Poetin an der Kraft ihrer Feder."

Uäh. Dream on.
Und über die andere Untote berichte ich - demnächst.

***

Kvinnas Kommentar zu meinem letzten Post habe ich leider stiefmütterlich vernachlässigt - es blamiert sich niemand tödlich der nicht weiß, dass ich nach einem kurzen Abstecher nach Österreich jetzt wieder in Schweden bin und dort bis Juni bleibe. Und ja, der schwedische Frühling ist urgewaltig - aufbrausend und federleicht zugleich kommt er daher. Und warum muss man, um das zu erleben, warten, bis "die Kinder ein bisschen älter sind?" Das würd ich jetzt gern mal verstehen (oder blamiert mich diese Frage tödlich???)