Montag, 23. April 2007

Die Untoten - Teil 2

In der Mitte meines Körpers trage ich ein Schlachtfeld mit mir herum; es ist weich, weiß, hat Rundungen und zeigt nach außen keine Spuren der Verwüstung. Der Kampf muss in einer Zeit eröffnet worden sein, an die ich mich nicht erinnern kann, und aus diesem Alter bezieht er seine Daseinsberechtigung.

Der Konflikt hatte mehrere Phasen,
eine, in der ich ihm devot ergeben war,
eine, in der ich ihn zu hinterfragen begann,
eine, in der ich mittendrin stand und nicht wusste, was tun.

Aus Phase Eins bleiben Erinnerungen an wilde Scham vor der teigigen, breiigen Masse in meiner Mitte, Abscheu, Ekel, kochende Wut auf diese Entstellung. Der Spiegel, der eiskalt und nüchtern die 'Wirklichkeit' abbildet: eine Made, ähnlich denen, die sich ganz unten im Komposthaufen verkriechen - der Fuß möchte schnell zutreten, im Hals steckt ein Würgen. Manchmal bringt ein unbedachter Blick in spiegelnde Flächen die Made zum Vorschein - wie ein sorgloser Griff in den Dünger - Tränen steigen auf, es gibt nur mehr ein Ziel: schnell, schnell, ins sichere Versteck. Fruchtlose Versuche, die Schande abzukratzen, abzuschneiden, abzuschwitzen. Oder sie zumindest für ihre Schändlichkeit zu bestrafen.

Zeugen dieses Deliriums begegnen ihm mit Kopfschütteln oder mit Wut, weil anscheinend nur wirklich dicke und hässliche Mädchen Anrecht auf derartig ausgeprägten Selbsthass haben. Andere versuchen der Angel auszuweichen, von der sie denken, dass ich sie komplimenteheischenderweise ins Wasser halte.


Phase Zwei bringt die leise Ahnung, dass vielleicht in meinem Kopf was falsch ist, nicht mit meinem Bauch. Trotzdem, die Serie der mießlichen Lagen, in die er mich bringt, reißt nicht ab. Irgendwann beginnt sich das Bewusstsein für diese irdische Hölle in mir zu entwickeln, ich sehe meine Verstümmelung und Abstumpfung mit an - Bestrafungen, die ich als vollkommen gerechtfertigt empfand, haben jetzt einen bitteren, traurigen Nachgeschmack.

Phase Drei - mitten im Schlachtfeld und keine Ahnung, wo ich beginnen soll.
Ich sehe, dass ich selbst in völliger Abgeschiedenheit Schwierigkeiten habe, meinen Bauch freizugeben.
Meine Mitte ist abgeschaltet; wenn ich mich einfühle und sie einschalte, schwappen zuallererst Hass, Scham und Ekel über mich, dann Schmerz, dann Trauer. Ich übe, übe, gehe immer wieder hinein - es wird nicht weniger.
Meine Energieversorgung vom Unterbauch abwärts ist gekappt, besonders durch die linke Hüfte lasse ich nichts in die Beine. An schlechten Tagen bringt mich der Spiegel nach wie vor zum Weinen. Eine Berührung am Bauch kann sich anfühlen, als hätte ein Mensch meine beschämendsten Geheimnisse ins grelle Tageslicht gezerrt.

Wenn ich genau hinsehe entdecke ich unter all dem meinen wahren Bauch, ein zertrampeltes Etwas, seit meiner Kindheit von mir eigenhändig weggesperrt, abgeschnürt, abgeschoben. Es führt sein Leben im Dunkeln, ganz unbemerkt, holt sich was es braucht über Umwege, kriegt dafür zwar wieder eine drüber, ist aber zäh. Selbstmitleid kenne ich, aber Selbstmitgefühl für meinen Körper zu entwickeln, ist eine überraschend schwierige Aufgabe.

Ich bin zuversichtlich - das Bewusstsein öffnet sich nicht für Dinge, die es zu verdauen noch nicht bereit wäre. Ich würde meinen Bauch nicht hören, hätte ich nicht zur gleichen Zeit auch die Mittel, mir selbst zu helfen.

Aber ein paar Worte an die, die vielleicht schon einmal mit Ähnlichem konfrontiert wurden (ich denke, die Wahrscheinlichkeit dafür ist stetig steigend...):

Immer wieder bin ich der Aussage begegnet, dass gerade die Frauen "die es nicht nötig haben" unter ihrem ramponierten Selbstbild leiden. Darin schwingt die Annahme mit, dass es sehr wohl Menschen gibt, die allen Grund zu Selbsthass und Selbstbestrafung haben, und darin (und in nichts anderem) liegt das wahre Problem.

Zahllos waren die Versuche, mich mit Auflistungen meiner Schönheiten und Tugenden wieder aufzurichten. Es ist natürlich äußerst verwunderlich, wie sich ein zweifelsohne intelligenter Mensch manchmal für hoffnungslos blödsinnig halten kann, wie sich ein offensichtlich grünes Ding für rot hält, oder ein Normalgesichtiger für entstellt. Wir hoffen, dass wir durch ein blosses Auflisten der Intelligenz/Grünheit/Normalheit die Dinge wieder einrenken können, und übersehen, dass es sich für den jeweiligen Menschen um eine Wahrheit handelt, die schwer wegzuargumentieren ist. Im Gegenteil lernt das Hirn sogar, mit beiden Seiten zu leben, es richtet Parallelwelten ein, eine, in der es tatsächlich seinen liebenswerten, "normalen" Charakter erkennt, und eine, in der nichts anderes als Abscheu verdient. Das ist für Betroffene und Freunde gleichermaßen frustrierend, denn beide (!) Seiten wissen, dass der Kampf "nur" im Kopf entsteht und nicht echt ist. Oft tut es aber schon gut, den Hass auszusprechen und auszuspucken, ohne gleich ein kopfschüttelndes: "Ja, aber, du bist doch so..." zu hören.

Ich halte es außerdem für hilfreich, die Natur des Leidens erkunden zu helfen, und beobachten zu lernen, WAS es in einem Menschen verursacht, anstatt es blindlings als Hirngespinst zu erklären. Die meisten Probleme entstehen im Kopf und sind Folgen einer Wahrnehmung die nicht aus den Wahrheiten der Einheit und der Liebe entspringt. Aber nur weil sie in diesem Sinne falsch sind, sind sie nicht minder ernst zu nehmend, gefährlich und schmerzvoll.

5 Kommentare:

sam hat gesagt…

Zum Belüften der Leiche würde ich es pragmatisch angehen:
Sich die grundsätzlichen Bauchtanzfiguren zeigen lassen. Diese ab und zu üben, aus schiefen Sechsecken werden dann Kreise und Ellipsen. Die Hüften werden selbständig beweglich und sind mehr als die Grenze der Unterleibschüssel, Du kannst Figuren damit beschreiben und kriegst einen viel grösseren Radius mit der Zeit. Die Mitte ist plötzlich nicht mehr Dein Bauch sondern Dein Becken und hat eine enorme Wucht. Bauchtanzen gibt richtig Kraft und sehnige Gelenkigkeit- vom Kreuz bis zu den Oberschenkeln.
Irgenwann:
Schönen Teller Bohnensalat essen und zwei Stunden später Bauchtanzen. Ein Tuch eng um die Hüftknochen, damit Du Deine Hüften spürst. Vor grossen Spiegel stellen und hineinschaun! Der Bauch kann sich so richtig vorn rausblähen und übers Tuch quellen - dann tanz mal, wackel, zitter, schlag Wellen mit den Bauchmuskeln - muss alles gar nicht perfekt sein! Wirst sehen, wie er sich belebt, durchblutet, wärmt und Dir optisch trotz genossenem und randalierendem Bohnensalat NICHT MEHR AUFFALLEN wird! Jede Wette! Er ist einfach nicht mehr im Zentrum des Geschehens.

Und wenn Du sein Geschwabbel trotzdem nicht ertragen kannst, bzw. Dir die Bauchtanzerei zu amorph ist: Mehrmals täglich 20 Liegestützen, das ist noch einfacher und die Atmung dafür kannst Du sicher vom Yoga. Denen hält kein Bauch stand.

Warum sollst Du was hinnehmen, was Du genauso gut ändern kannst, wenns Dir danach wohler ist.
Ich halte das sich auf Teufel komm raus "so-lieben-MÜSSEN-wie-man-ist" für einen Mordskrampf. Wir SIND unsere Körper. Unsern Geist formen wir ja auch, wenn er uns nicht guttut wie er ist. Auch er wird schon in der Kindheit zusammengestaucht und begrenzt - kein Grund, geistig ein Kind zu bleiben und in dieser Verletzung die nächsten 70 Jahre zu verharren.

Gut Nacht und guten Mut,
Sam

sam hat gesagt…

Mei - ich sollte vielleicht noch dazu sagen dass es mich mit einem ähnlichen Gefühl sowas ein Jahr nach meiner Schwangerschaft erwischt hat.

Es war schon anders. Ich sass zum Vergnügen meines Kindes auf dem Spielplatz inmitten der Mütterfraktion mit der ich nichts anfangen konnte, lauschte ihren Gesprächen, die mich langweilten, sah ihnen zu und mir fiel an ihren Gestalten so eine Art tiefe Phantasielosigkeit, Müdigkeit, Stumpfheit, vermischt mit Hektik, ich weiss nicht was, auf aber es hat mich plötzlich erschreckt.
Bzw. ich hatte Angst, ganz automatisch eines Tsges auch so zu werden, ich erkannte die ersten Ansätze dazu an mir. So eine Art Zwangsdemut vor lauter sozialem Eingekasteltsein. Ausserdem hatte ich immer wieder mal Rückenschmerzen damals, was ich zuvor nicht kannte.

Ich fing dann mit dem Bauchtanzen an weils eine andere Tanzform hier nicht gab. Zwar wars in der Gruppe nicht anders als mit den Spielplatzmüttern und die Musik war auch nicht die meine, aber die Bewegungen und die Konzentration auf meinen Körper haben mich wieder aufgeweckt und gestärkt.

Ich geh schon lang nicht mehr in den Kurs und hab nie Kreuzweh, aber die Bewegungen sind mir angewachsen und ich kühle hin un wieder mein cholerisches Gemüt runter damit oder entkrampfe mich.
Drum schwing ich hier so die Fahne für den Bauchtanz.
Blödes Wort eigentlich, weil sich der ganze Körper schlängelt und Wellen schlägt.

kvinna hat gesagt…

Das hat mich jetzt alles so getroffen, ich mach' einen eigenen Post dazu, sorry!

mondin hat gesagt…

Hallo Artemis, es ist so still bei Dir..
Alles o.k. ?
Oder bist Du auf einen andern Blog gewechselt ??

LG Ursel

artemis hat gesagt…

hallo ursel,
ich hab doch in der zwischenzeit viel geschrieben!

vielleicht zeigt dein browser die neuen posts nicht an?

lg, artemis