Mittwoch, 29. November 2006

a better version of me


Sitze bei einer Freundin im Bett, sie hat einen Arzttermin, ich habe drahtlosen Internetzugang, jede Menge Zeit (einen gesamten Tag!) um die Seele baumeln zu lassen und dazu guten Tee. Gestern schöner, inspirierender Abend unter Mädchen. Tut immer gut.


Jetzt wo Weihnachten naht, dämmert mir langsam: zurückkehren wird hart werden. Allen Auslands-Studis geht es so, egal ob Austausch oder Master oder einfach nur so. Hier verändert sich jeder so rasend schnell. Zu Weihnachten werden viele viele "neue" Menschen zurück fahren in Städte, zu Freunden und Familien, die sich im Vergleich zu ihnen kaum verändert haben. Viele Worte werden vergeudet werden im Versuch, das Anders-Sein zu erklären. Die Weg-Gegangenen werden ganz hoffnungslos angesichts der gähnenden Nicht-Veränderung, die Daheim-Gebliebenen sind ein bisschen enttäuscht, weil sich äußerlich am Weltfahrenden nicht wirklich was geändert hat (wo bleiben die grünen Haare, die radikalen Ansichten, das völlig veränderte Gesicht?), warten auf exotische Berichte - aber es kommt nix. Die Weltenbummler wissen nicht wirklich, wie sie ihren inneren Wandel in Worte packen sollen. Oder sie sind Realisten und haben erkannt, dass dieses Unterfangen sowieso scheitern würde. Alles ist gleich und trotzdem ganz anders.


Und dann kommt auch noch dazu, dass so ein Austausch-Studi seine Metamorphose vielleicht gar nicht erklären möchte... Die meisten entdecken im Erasmus-Jahr sowas wie die spirituelle Nabelschnur, ein Urvertrauen in das Leben und seine wunderbaren Wendungen, erleben Beseelendes, Beatmendes, Belebendes. Sowas lässt sich nicht immer gut vor versammelter Mannschaft an Omas Küchentisch besprechen. Und dann bleibt auf die Frage: "Wie geht's dir im Auslandsjahr?" eben nur: "Danke, fantastisch!"


Wenn ich zurück komme, wird es wahrscheinlich einiges klarzustellen geben. Warum ich bei jedem Wetter mit dem Rad fahre. Warum ich im Supermarkt länger brauche, weil ich mein Essen sorgfältiger auswähle. Warum ich kein Fleisch mehr essen mag (und wenn, dann erst nach längerer Kontemplation, wiederum im Supermarkt o.ä. Plätzen). Warum ich beizeiten auch das eine oder andere "Öko"-Kommentar fallen lassen werde.
Das Wissen, zu dem ich hier in Lund Zugang bekommen habe, macht es mir ganz unmöglich, anders zu reagieren als mit Aktion. Die Erde grundsätzlich zu lieben ist eine Sache. Bäumen als Ratgebern und Lehrern zu begegnen eine andere. Den Müll in die Mülltonne zu werfen auch.
Aber der Zustand unserer kleinen Erde erfordert andere Massnahmen. Größere. Er fordert Menschen, die bereit sind, am Grat entlang zu wandern, Konsequenzen zu ziehen, sich zu verändern, um damit anderen Menschen zu ermöglichen, dass nachhaltiges und "sauberes" Leben für jeden einfacher umzusetzen ist.

Zeit und Geld, so wird's behauptet, hat ja nicht jeder. Und es fühlt auch nicht jeder den Drang gleich stark, sich täglich zum Besseren zu verändern, Disziplin zu entwickeln nach Alternativen zu suchen und sich selbst auch in diesen Entscheidungen zu kontrollieren. Es muss Menschen geben, die Disziplin und Konsequenz für andere übernehmen und Strukturen entwerfen, die es auch Menschen, denen ein verantwortungsvoller Lebenswandel nicht so wichtig ist, leichter macht, sozusagen nebenbei die richtigen Entscheidungen zu treffen. Der Mensch ist von Natur aus eher ein Faultier, aber wenn wir in 20 Jahren unseren Schnee noch immer gern zu Weihnachten hätten statt im August, dann müssen eben die weniger faulen den faulen Faultieren unter die Arme greifen (oder ihnen, radikaler gesagt, in den Hintern treten).

Um den eigenen Lebenswandel zu verändern, geht nicht darum, so zu werden wie ... , sondern um die Erkenntnis, dass es die bessere Ausgabe einer selbst ist, die angestrebt werden kann und darf. Es genügt der aufrichtige Wunsch.


Die Disziplin und Achtsamkeit, die ich entwickeln durfte, möchte ich jetzt in den Dienst stellen. Ich merke, dass ich genügend breite Schultern entwickelt habe, auf denen Verantwortung ruhen kann. Ich will meine jugendliche Energie nützen, solange sie da ist. Ich habe Menschen um mich, die bewundernswerte Entscheidungen getroffen haben und je mehr ich sie kennenlerne, desto eher merke ich: es ist nicht schwer.
In den letzten Tagen wird mir klar: diesen Funken möchte und werde ich weitertragen.

Ich warte auf ein Zeichen, eine Eingebung. Hej, da oben, gebt mir Arbeit!

Montag, 13. November 2006

wandel, öffnung


Die Seiten in meinem Tagebuch warten seit Wochen auf einen neuen Eintrag. Überhaupt ist das weiße Blatt Papier ein Sinnbild meines momentanen Zustands: ich rutsche immer mehr ins Jetzt zurück und bleibe hier. Ich werde immer kleiner, ahnungsloser und stärker in einer daraus erwachsenden Klarheit. Ich habe endgültig keine Ahnung mehr, wie ich meine Ideen zu Papier bringen soll.
Ich greife zur Kamera.


Ich lese wie besessen, ich bete, ich fühle die Hände, die mich führen immer stärker und auch den Fluss des Lebensplans, dem ich ins Gesicht grinse (*zwinker mal rüber zur merla*). Ich betrachte die dunklen Seiten des Lebens, unserer Welt und unserer Politik, vor denen mein überbordender, kindlicher Optimismus kleinlaut in die Knie gehen muss. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich tatsächlich täglich zur Zeitung greifen soll, oder lieber nicht. Vielleicht sollte ich überhaupt einmal damit anfangen. :)


Ich beschließe, meinem Lebensplan die Hand zu geben und will zum Werkzeug werden. Stark, klar, offen. Ich stelle fest, dass meine Arme und Schultern stärker geworden sind - kommt nicht nur vom Yoga. Mein Körper hat begonnen, mir zu vertrauen - keine Bestrafungen und bösen Gedanken mehr und schwups!, ist er ein starker Helfer geworden.



Ich lerne:
Menschen fühlen nur den Wandel. Wenn sie etwas dauerhaft erreicht und in sich verwurzelt haben, nennen sie das "Plateau".


Im Skulpturen-Park vor dem Skizzenmuseum treffe ich vor einigen Tagen ein paar sehr fotogene Blätter. Ich lerne: Fotografieren ist in allererster Linie eine Angelegenheit von Liebe für das Objekt. Je mehr Zeit ich an diesem Vormittag mit den Blättern verbringe, desto mehr habe ich das Gefühl, dass sie es sind, die Freude daran haben, mir ihre Schönheit zu offenbaren.


Eine alte, runzlige Frau geht vorbei und sieht mir zu, wie ich im Kies herumwusle. Sie ähnelt den Blättern, ein bisschen vertrocknet und irgendwie vom Baum gefallen. Ich frage mich, welche ungeahnte Schönheit sie vor dem liebenden Auge einer Kamera wohl entfalten würde?


Hachja.
Das Leben, eine wunderbare Backstube.

Mittwoch, 8. November 2006

manchmal...

... ist es zum Aus-der-Haut-Fahren!

Heute zum Beispiel. Und deswegen gönne ich mir eine Runde Zwiederniss und Schimpferei. Nämlich:

Nach der horrenden Zahnarzt-Rechnung für eine mickrige kleine Füllung (die mir rausgebrochen ist, da war also kein neues Loch, ich hab immer schön gebürstet!),

der zerbrochenen Lieblingstasse (beim Öffnen der Schranktür heruntergefallen und auch da war ich am Geschirr-Einräumen nicht beteiligt),

einer neuerlichen Kühlschrank-Attacke meiner Mitbewohnerin (die Appetit hat für 3 und dabei leider auch unschuldslämmern meine Vorräte anknabbert),

und Hektolitern Regen, die mein armes Fahrrad ruinieren, was wiederum teuer wird (hab ich eigentlich schon mal erwähnt, dass die Radfahrerstadt Lund keinerlei Unterstellmöglichkeiten für Drahtesel kennt? Gar keine! Da rostet alles fröhlich vor sich hin...),

bin ich zum Schluss gekommen, dass es mir mein Schicksal anscheinend richtig übel nimmt, dass ich die restliche Zeit unverschämt glücklich bin.
Und jetzt werde ich mich an Frau Bärtschis klugen Ratschlag halten (siehe Karte) und aus dieser Wohnung flüchten - an einen Ort, wo meistens die Sonne scheint :)

P.S.: Wenn jemand einen Tipp hat, wie ich meiner Mitbewohnerin klar machen soll, dass ich es nicht in Ordnung finde, dass sie sich die Butter zentimeterdick auf zwei Finger dicke Brotscheiben schmiert, und auch nicht der Meinung bin, dass ihr Magen danach auch noch unbedingt 2 Portionen Müsli mit einem halben Liter Milch benötigt - ich bin dankbar. Momentan bin ich schon fast versucht, so schnell wie möglich eine Wochenration für mich unter meiner Matratze zu verstecken, bevor sie innerhalb von 1 1/2 Tagen verschwunden ist. Für jeweils getrennte Packungen Brot, Butter, Milch etc. fehlt uns hier leider der Platz, aber ins Geld geht's schon. Oder sind solche Mengen im Grunde normal? Hm - bin zwar auch keine Wenig-Esserin, aber dieses Mädchen frisst mich noch arm. Und ich bin zu feige, ihr das genau so zu sagen. Zwickmühle.
So, fertig gesudert.