Wir haben lang geredet. Die große Veränderungswelle hat unseren Freundeskreis schon vor über einem Jahr gepackt und spült uns seitdem auseinander. Woran diese früher so eingeschworene Gruppe wirklich krankt, ist aber mangelnde Akzeptanz und Fürsorge. Das ist nämlich so: als Mensch ist es nur menschlich, dass man in regelmäßigen Abständen gegen die Wand knallt. Mal heftiger, mal sanfter, manchmal ist es zwei, drei, viermal die gleiche Wand, dann wieder eine ganz andere. Und "älter" zu werden, heißt wahrscheinlich nicht unbedingt, dass man seltener gegen die Wand rummst, aber dass man es bewusster tut. :) Geht zumindest mir so. Ich sehe die Wand kommen, auf die ich zusteuere, ich sehe, dass ich mich in eine Sache verrenne - aber das heißt nicht immer, dass ich besser gegensteuern kann. Je bewusster man sich dieses Vorgangs ist, desto eher wertet man sich selbst natürlich ab: Ich dummer dummer Mensch, jetzt mach ich es schon wieder so, obwohl ich weiß, dass es nicht gut ist - trotzdem kann ich nicht anders!
Und so geht es eben jedem von uns - wir tingeln und ecken an und tun uns weh und verlaufen uns... Bei guten Freunden sieht man aber die Katastrophe noch eher kommen als die Freunde selbst, und es ist manchmal schwer, das zu ertragen. Es ist eine Kunst, richtig zu reagieren, wenn man erkennt, dass geliebte Menschen einfach gegen die Wand fahren müssen... So wie man selbst es ja auch tut. Uns als Freunden fehlt es an Geduld und Fürsorge. Wir werten die anderen an ihren Verirrungen, so wie wir uns abwerten, wenn wir uns verlaufen. Wir schämen uns dafür, dass wir Fehler machen und nicht schon von Anfang an gesehen haben, wie es richtig geht. Deswegen haben wir keine Geduld und keine Fürsorge für unsere Freunde, die sich genauso irren, verlaufen, täuschen, oder selbst etwas vormachen...
Und das sehen wir, wenn wir unseren Freundeskreis betrachten:
Da ist der Lebenskünstler. Er ist voll Enthusiasmus, hat immer gute Ideen und Angst, sie umzusetzen. Er ist die Inkarnation des Ja-aber... Wir sehen, dass er gegen die Wand rummst, mit jedem neuen Versuch, etwas neues anzugehen. Von ihm heißt es, dass er untergehen wird. Braucht von uns keine Skepsis, sondern mehr Vertrauen in seine Fähigkeiten.
Der Träumer. Sucht die große Liebe. Hat ein genaues Bild davon, aber ziemlich Schiss. Verrennt sich mit jeder neuen Freundin. Schottet sich ab, weil er das Gefühl hat, seine Liebe gegen uns verteidigen zu müssen. Braucht von uns nicht Zweifel an seiner Liebesfähigkeit und ob die Frau zu ihm passt, sondern Akzeptanz für seine Wege und Entscheidungen.
Dann die Feministin. Geht ihren Weg zwischen Kunst, Jus und Spiritualität. Verrennt sich, wenn sie denkt, dass sie alles allein regeln muss und sich als abgetrennt erlebt. Braucht von uns mehr Zärtlichkeit, Fürsorge, Entspannung.
Der einsame Wolf. Hat sich vor langer Zeit abgemeldet. Klettert auf hohe Berge, um in sich zu gehen. Braucht mehr Sicherheit als der Durchschnitt, steht aber auch mehr dazu, als der Durchschnitt. Lebt Verbundenheit vor allem im Geist.Verrennt sich, wenn er denkt, alles heilen zu müssen oder Probleme regeln zu können, indem er weggeht. Braucht von uns keine Abschätzigkeit, sondern mehr Verständnis für sein plötzliches Verschwinden und seine Verletzlichkeit.
Die Muse. Liebt und lebt für alles Schöne. Braucht viel Zeit mit sich, Sicherheit, Erdung und Fürsorge. Verrennt sich, wenn sie sich zuviel aufbürdet und grundsätzlich in Liebesangelegenheiten. Braucht keine Besserwisserei, sondern Verständnis für ihre Ziele und Feingefühl für ihre Sehnsüchte.
Der Schauspieler. Arbeitet mit seinem Körper, mit seinen Sinnen. Liebt alles Außergewöhnliche, Bedeutsame, Wohlriechende, Feinschmeckende. Sieht Leben als Kunst. Verrennt sich, wenn er glaubt, die ganze Welt sei eine Bühne. Braucht von uns nicht entnervtes Kopfschütteln, sondern Erdung und Geduld, wenn wir dabei zusehen, wie er wieder langsam zu Boden gleitet...
Jeder von uns spiegelt den anderen die ungeliebten Seiten, so scheint es mir zumindest. Deswegen können wir auch (angeblich) genau erkennen, was den anderen in Wirklichkeit fehlt und dass sie in die falsche Richtung laufen. Wir werden wechselweise ungeduldig miteinander und entziehen uns dadurch gegenseitig das Vertrauen. Aber weil wir uns auch so toll durchschaut haben, gibt es auch gute Heilungsaussichten, denke ich. Fazit: Schwer ist die Kunst, ein Freund zu sein!
8 Kommentare:
hallo. deine analyse hat mich sehr nachenklich gemacht, aber es stimmt, was du da schreibst. erlebe derzeit einen einst festen freundeskreis auch als auseinanderbrechend. hat bei mir aber mehr damit zu tun, daß wir uns in verschiedene richtungen entwickeln und aus den freundschaften eher sowas wie ne clique entsteht. wir sind aber alle auch schon zwischen 45 und 58 jahren. es lebe die veränderung. gabi
Ich glaube, wer mit dir befreundet ist, dem geht es ziemlich gut! Jung und dabei sehr feinsinnig und klug, das ist eine reichhaltige Mischung und sicher gute Medizin für Freunde. Gehen die bekannten, kommen neue Menschen. Oder auch mal eine zeitlang keine. Festhalten geht eh nicht, Labbatú y su cuervo solo
Festhalten geht nicht - will ich aber manchmal! Ich habe des öfteren große Probleme, zu akzeptieren, dass Menschen sich voneinander entfernen.
Bei einigen Leuten macht mir das überhaupt nichts. Aber manchmal ist die Erinnerung an gemeinsam gelebte Zeiten und Momente so stark und schön, dass man darin hängenbleiben möchte. Hm.
Jeder Mensch hat ja so seine seelische "Problemzone", irgendetwas, was ihn/sie am meisten an sich selber stört. Etwas, das man meint unbedingt verbessern zu müssen, um ein besserer Mensch zu werden. Zum Beispiel der Bauch... oder eine gewisse Schüchternheit... für manche ihre Ungeduld... bei mir ist es unter anderem der Freundeskreis. Ich habe erst mit etwa 14 begonnen, richtige Freunde zu haben. Kindheit und frühe Jugend habe ich meistens allein verbracht, was mich aber nie weiter gestört hat... Und seitdem träume ich von einer kleinen, eingeschworenen Gemeinschaft, ein Sicherheitsnetz, das wirklich stabil ist. In dem sich jeder sauwohl und aufgehoben fühlt, sich niemand rechtfertigen muss für das was er ist. Das würde mich, glaube ich, richtig glücklich machen.
Ich habe genügend Freunde, aber die kennen einander eigentlich kaum. Vielleicht hat das auch seine Vorteile - es gibt sozusagen für jede Lebenslage die richtige Person.
Una pregunta, por favor:
"Ich habe erst mit etwa 14 begonnen, richtige Freunde zu haben."
Wie genau müssen "richtige Freunde" sein? Was müssen sie tun? Was müssen die tun, um es auch zu bleiben? Wenn nicht, werden sie dann gekündigt? Fragen über Fragen... Sind Freundschaften nicht auch "Handelsabkommen" - wie Adima (Satsang-Lehrerin)es schon mal nennt - du gibst mir das, was ich von dir brauche und dafür mag/liebe ich dich und dann gebe ich die das ... und wenn nicht, dann bricht es eh auseinander? Interessantes Gedankenfeld, diese Beziehungen unter den Menschen.
"Kindheit und frühe Jugend habe ich meistens allein verbracht, was mich aber nie weiter gestört hat..." Das ist ein Segen, allein sein zu können, finde ich. Ich verbringe die beste Zeit mit mir, im Wald, am Rhein, egal wo... in Gesellschaft kann ich mich nämlich nicht gut auflösen.
Ich hatte als Kind und auch sonst meistens eine vertraute Person, mit der ich viel Zeit verbracht habe bzw. mich ausgetauscht habe. Eine Ansammlung von Menschen, die über zwei Personen hinausgeht, empfinde ich nach einer Weile meistens als anstrengend. Im Moment mache ich ein neues Experiment: Ich tausche nicht mehr. Gibst du mir das, gebe ich dir das. Ich bleibe einfach allein - manchmal in Gesellschaft.
Schöne Grüße und du hast recht: Der Herr Schumann will dir seinen Zauber schenken. Labbatú y su cuervo satisfecho
Erwischt, Labbatú! Das war etwas missverständlich ausgedrückt, vielleicht hätte ich schreiben sollen: "Ich hatte überhaupt keine Freunde bis etwa 14, 15." Also, weder richtige noch falsche. :)
Ich denke schon, dass man Ansprüche an "richtige" Freunde stellen darf. Zum Beispiel, dass sie eben nicht immer das machen oder sagen, was man gerne von ihnen hätte. "Richtige Freunde" riskieren, um mir den nötigen Arschtritt zu verpassen, auch, dass ich es ihnen übel nehme. Richtig echte Freunde können ziemlich unangenehm werden. Ich fordere das manchmal regelrecht heraus, weil ich es mag, wenn mir Menschen gradeheraus sagen, dass ich Unsinn rede (und sie damit Recht haben). Holt mich wieder runter ;)
"Eine Ansammlung von Menschen, die über zwei Personen hinausgeht, empfinde ich nach einer Weile meistens als anstrengend."
Hm, kenn ich. Seufz. Dabei wäre ich sooo gerne einmal bei einem richtig echten großen Rockfestival dabei. Mit Schlamm, Bier und vielen Leuten. Geht nicht. Krieg allein von der Vorstellung alle Zustände.
Hm, und der Aspekt des Tauschens, den du angesprochen hast. Ich befürchte fast, dass ich es kaum je dazu bringen werde, völlig ohne den (Hinter-)Gedanken des Tauschens auszukommen. Aber ist der den zwangsläufig schlecht? Vielleicht müsste man einfach klar erkennen können, was man da wogegen tauscht. Da steht auf einem Etikett zB Fürsorge und in Wirklichkeit bekommt man Kontrolle. Ich bin manchmal ein Weltmeister im "Auf-die-Verpackung - Hereinfallen", besonders wenn sie ganz toll glitzert und glänzt und schreit: "ich bringe dir Liebe!" *lach*
Artemis
Ich finde, du bist ziemlich nah an den Dingen dran...Geh noch ein Stückchen weiter und probier halt weiter aus, mußt du ja sowieso.
Ich bin gerade an der Wegkreuzung wo steht "Verlange nie etwas von anderen und gib dir alles selbst" und "Liebe dich selbst - bedingungslos" dann brauchst du nicht mehr tauschen sondern kannst einfach verschenken, wenn du es möchtest, ohne was zurückzuwollen. Wenn du voll bist und selbst genug hast, sonst nicht!
Übrigens war ich früher öfter auf solchen Rockfestivals...und muß gerade über mich selbst lachen, wenn ich dran denke.
Das "sich ein Sicherheitsnetz wünschen" ist mir auch bekannt. Wer wünscht(e) sich das nicht? Aber auch das gibt es nicht wirklich. Und so schlecht ist es gar nicht ohne.
Labbatú y su cuervo libre - beide gerade im freien Fall - lachend
hallo corriendo mundo, muß sagen, du sprichst mir grade aus der seele. bin auch auf dem ich-gebe-mir-selbst-was-ich-brauche-an-liebe-trip und der tut mir sehr gut. hatte vorher ein helfer-syndrom, kann ich nun langsam verabschieden, göttin-sei-dank.ich zeige mich unverstellt, so, wie ich bin. manchmal verströme ich mich, wenns für mich passt, dann laß ich es wieder sein. öffnen-schließen ist der rhythmus.
könnte artemis das frauenmusikfestival im hunsrück, deutschland empfehlen. www.frauenmusikfestival.de keine massen, superstimmung, wir frauen unter uns. wahnsinnsmusik. ist aber wohl doch eine zu weite anreise für dich.gabi
@ Labbatú: Schöne Wegkreuzung, an der du da stehst. Gefällt mir ;)
Das mit dem Sicherheitsnetz ist wohl auch illusionär. Vielleicht ist es ja auch genau richtig so, dass mir lauter lose Fäden Halt geben und kein Netz. Kann mich jedenfalls nicht über meine Freunde beschweren.
Gabi, danke für den Tip, hab mich auf der Seite umgesehen. Ist zwar schon weit weg, wäre aber genau richtig für einen Abenteurer-Ausflug. Hm, ich bezweifle zwar, dass sich meine Platzangst vom Geschlecht der Menschenmasse beeindrucken lässt, aber vielleicht ist so ein Festival genau das Richtige zum Einstieg.
Und ich schaffe es in ein paar Jahren bis zu einem richtig versauten, verrauchten, verruchten und verdammt lauten Rockevent? UAAAAAHRGH!!!
:o)
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