Ich habe den Eindruck, dass mein persönliches Schicksal ein ernorm schlechtes Gewissen hat, wegen der ganzen Arbeit und Sorgen in letzter Zeit. Jedenfalls hat es sich heute richtig Mühe gegeben, mich wieder von der Zauberhaftigkeit meines Daseins zu überzeugen:
Meine Chefitäten haben vergessen, mir mitzuteilen, dass ich heute Vormittag eigentlich nicht hätte arbeiten müssen, da in unseren heiligen Hallen ein Konzert stattgefunden hat. Ich stand trotzdem um 10 auf der Matte und musste mir unverhofft bis 14 Uhr irgendwie die Zeit vertreiben. Also habe ich mich einfach stillschweigend in den Konzertsaal gesetzt (im "wichtigsten Barockschloss der Steiermark", wohlgemerkt!). Es war so wunderbar...
Es gab Schumann. Schumann, mit dem ich aufgewachsen bin. Ich bin ihm zwischenzeitlich wieder untreu geworden. Weiß eigentlich gar nicht warum. Jedenfalls sind mir heute vormittag bei den Klängen der op. 94, 70 und 73 keine vernünftigen Gründe mehr eingefallen. Es ist schwer zu beschreiben, was mich an seiner Musik so derartig berührt, ohne an den äußersten Rand des erträglichen Kitsch zu stoßen. Aber gut, so ist es mit vielen schönen Dingen...
Es ist nämlich so, dass sich vom ersten Ton einer Schumann'schen (oder überhaupt romantischen) Melodie an ein Fenster in mir öffnet. Ich habe dann sofort das Bild eines Vorhangs vor mir, der, vom Sommerwind geteilt, den Blick auf den lichtdurchfluteten, riesigen und wild-wuchernden südfranzösischen Garten meiner Kindheit freigibt. Es riecht nach Wärme, nach nackter Haut, Zypressen, kühlem Stein... Ich kann atmen, ich fühle, dass es atmet, rund um mich. Es ist soviel Zeit da, unter einem Baum zu sitzen, einem Vogel zuzusehen oder einem Bach beim Fließen. Es gibt Zeit, wieder in die eigene Haut zurückzufinden, in die eigenen Füße; Zeit, Wunden aufzuspüren, sie zu fühlen und der Sommerluft zum Heilen hinzuhalten. Und über allem liegt immer ein ganz spezieller Wind; die Bäume murmeln ständig. Es ist dieser Wind, den ich in der (Kammer-)Musik der Spätklassiker und Romantiker wiedererkenne. Ich frage mich eigentlich, warum es gerade der Atem, die Luft, der Wind sind, die ich mit Musik assoziiere? Könnte ja auch genauso gut das Wasser sein... Hm. Für mich ist der Wind das sanfteste, kommunikativste und heilendste aller Elemente. Nichts fühlt sich auf nackter Haut so schön an. Na gut, fast nichts...
Dann wollte ich eigentlich meine Lieblingslinde im Park besuchen. Hat leider nicht funktioniert, da saßen schon zwei alte Leute und haben gepicknickt. Also bin ich querfeldein, zu einem einsamen Baum mitten auf der Wiese. Ich habe mir gedacht, ich könnte ja weiterhin auf meinem romantischen Trip bleiben und etwas völlig Sinnentleertes tun - nämlich mit dem Baum zu sprechen. Oder es zumindest zu versuchen. Und ich kann sagen: es hat funktioniert. Nein, ich habe keine grummelig-knorrige Stimme gehört, es gab auch keine Sprechblasen oder Farbvisionen vor dem inneren Auge. Einfach nur die Präsenz eines ruhigen, geduldigen, mächtigen Wesens. Und zwischendurch blitzten mir ein paar Gedanken durch den Kopf, von denen ich nicht unbedingt behaupten möchte, dass es meine eigenen waren. Ich musste ein paar Mal herzlich lachen (ja, mitten im Park). Es geht nichts über eine ordentliche Portion Baum-Humor!
Und jetzt hab ich nachgeschlagen: es war eine Hain-Buche. Eine tatsächlich sehr geduldige Baumart, die den Perfektions-Wahn des Menschen über Jahrhunderte hinweg ertragen hat müssen. Es gibt wohl keine geometrische Form, in die sie nicht schon einmal geschnitten worden wäre. Sie nimmt's mit Humor. Und ziemlich abgeklärt, wie ich finde...
1 Kommentar:
*lach* danke für das kompliment! ja, da scheine ich richtig viel glück gehabt zu haben...
es war wirklich eine wunderschöne zeit. ich könnte ja noch einen draufsetzen und erzählen, dass auf unserem alten dachboden seekisten aus dem 19. jh. waren... mit lauter alten kleidern und schuhen und alten wasserflaschen aus leder... so eine kindheit macht einen wahrscheinlich poetisch und etwas verrückt...
und wahrscheinlich habe ich deswegen keine angst vor dicken spinnen?
lg, susanna
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