Vor einiger Zeit bin ich diesem Baum/Strauch das erste Mal ganz bewusst begegnet. Es war eigentlich ein kurzes Verharren auf dem Spaziergang. Ich war überrascht, als mir abends völlig neue Gedanken durch den Kopf gegangen sind. Plötzlich habe ich ein Gefühl in mir geortet, das ich so noch nicht kannte. Ich nehme an, dass ich diese Ideen schon länger ausgebrütet habe, aber irgendwie gibt es mir doch zu denken, dass sie aus mir genau dann herausbrechen, wenn ich mich mit der Freidenkerin Haselnuss beschäftige:
Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, wirklich allein sein zu WOLLEN. Diese zeitweise etwas kranke Sehnsucht nach einem Mann ist fast ganz aus mir gewichen, dafür ist Ruhe eingekehrt. Das ist völlig neu für mich. Ich möchte nur für mich selbst zugänglich sein - ich möchte meinen Körper für mich alleine haben. Ich will mich, mein Denken, Fühlen und meinen Körper niemandem eröffnen müssen, ich will mich nicht mehr erklären.
Ein Begriff beschäftigt mich: „Keuschheit“. Ich entdecke das ungemein Positive in diesem Wort, das fern von jungfräulicher Empfängnis und missverstandener Demut eine emanzipierte Reinheit beschreibt. Ich will keusch sein, das heißt konzentriert. Unberührt im Sinne von Erde, in der die Blumensamen noch schlafen. Niemand darf darüber trampeln. Ich will meine Zeit und Kraft nicht damit verschwenden, einen Menschen so über diese Erde zu lotsen, dass er möglichst wenig Schaden anrichtet. Ich will mich nicht ablenken lassen von irgendetwas, solange diese neue Pflanze wächst. Ich lege eine Absperrung um meinen Körper, um meine Gedanken. Betreten verboten! Mh, das tut gut!
Wenigstens gibt es ein großes Geheimnis, das niemand außer mir kennt und das bin ich. In meinem Körper entwickeln sich gerade neue Sinne, neue Antennen. Ich will nicht sagen, dass ich Pech hatte mit meinen bisherigen Liebhabern. Es war toll. Aber jetzt: alles verändert sich. Ich lerne mich neu kennen. So fein und durchlässig war ich noch nie, ich fühle mich wie gesponnen. Und ich ahne, dass eine Erkenntnis aus der kommenden Zeit sein wird, dass ich weiß was ich will ohne wissen zu müssen, was genau das ist. Jetzt weiß ich natürlich, wie ich funktioniere: mein Körper reagiert so und so. Klick, klack, peng. So will ich nicht sein müssen. Ich trage die Vorstellung in mir, zu sein wie eine Landschaft, die erwandert werden will und zwar im Tempo des Wanderers. Ich will mich eröffnen im Zuge seines Weges und nicht von vorneherein die schönsten Ecken und Winkel verraten. Das meine ich nicht ausschließlich im sexuellen Sinn, sondern auf jeder denkbaren Ebene. Da greift ja alles ineinander.
Es ärgert mich, wenn ich in Frauenzeitschriften lese, dass eine Frau sagen muss, was sie will. Jaja, das stimmt ja schon, irgendwie. Schaden kann es nicht, sich selbst zu kennen. Aber muss ich deswegen mit der Sprache rausrücken? Ich finde nicht, dass eine Frau einem Liebhaber alle Tricks und Kniffe verraten muss, wenn sie das Gefühl hat, dass sie sich selbst damit verrät. Ein fantastisches Rezept macht noch keinen Meisterkoch, um das Ganze in eine kulinarische Metapher zu verpacken. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Und außerdem hat jeder gute Koch, jede hervorragende Köchin, eine ganz eigene, womöglich geheime Zutat. Ich träume davon, dass alle Liebenden, Freunde, Familien einander die Chance geben, selbst aus den Zutaten des anderen etwas zu kreieren, statt von vorneherein zu erklären, was wie wann und in welchen Mengen gemischt werden muss.
Ich will keinem Menschen sagen müssen, welche Knöpfe gedrückt werden sollen. Ich wünsche mir, dass er selbst welche findet, neue, unbekannte, die nur dieser eine Mensch betätigen kann. Und wenn es der zweite Zeh oder der Haaransatz hinterm Ohr ist. Oder ein bestimmtes Wort, ein Blick, eine Geste… Auf dem menschlichen Körper und in einer Seele gibt’s Platz genug für eine Milliarde Knöpfe.
So eine Einstellung braucht Selbstbewusstsein und noch mehr Mut, als ich bis jetzt habe. Es ist meine Idealvorstellung und ich weiß, dass es bis zu ihrer Verwirklichung noch ein langer Weg ist. In der Zwischenzeit mache ich die Türen zu, bleibe für mich. Ich sehe den neuen Zellen beim Wachsen zu, fühle mich frisch, jung, rein. Ich ernähre meinen Körper mit Yoga, mit Tanz, mit gutem Essen. Ich verwende immer häufiger ganz andere Augen: ich sehe, in was für einem fantastischen Körper ich wohnen darf. Wie gut er mich schützt, wie stark und beweglich er ist, dass er mir so viel verzeiht, ist ein Wunder, das mich zum Lachen bringt. Manchmal zeigt mein Körper Angst vor Grobheit, vor Bewertung und Besitzansprüchen. Ich fühle seine Dankbarkeit für jedes Bisschen aufmerksamer Zuwendung, für jeden liebevollen Gedanken, für meine Hingabe. Ich fühle, dass er immer ganzer wird, sich mehr und mehr vernetzt. Ich gehe in meinem Körper neue Wege, erkunde neue Ideen – lerne von der Hasel.
2 Kommentare:
Liebe Artemis,
mit Freude!!! habe ich gelesen, was du in letzter Zeit über Bäume und Menschen geschrieben hast. An einer Stelle ist es , als ob Mutter Erde persönlich spricht. Irgendwie würdevoll , tiefgründig, sanft und leicht empfinde ich die Stimmung in der Natur - was mich auch dazu bringt mein Lied noch freier und unverkrampfter zu singen. LG
Liebe Artemis,
deine reife selbstbewußte Einstellung zum Thema Keuschheit bewundere ich sehr!
Ich wünschte ich selbst hätte in deinem Alter Kraft und Mut zu so einer Einstellung gehabt!!
Anstatt dessen suchte ich ein Liebesabenteuer nach dem nächsten und fühlte mich solo ganz unwohl.So wie mein Frausein angefangen hat ging`s dann auch weiter:immer für einen Mann da sein,immer nach dessen Leben sich richten!...und es ist so schwer da wieder rauszukommen,wenn alles dann so richtig "verkuttelt"ist und sich selbst im Leben dann noch entwickeln,das versuch ich grad- schätzungsweise
fünfzehn bis zwanzig Jahre später als du.
Also Glückwunsch und Danke auch für deine wunderschöne Art zu schreiben,man glaubt eigentlich nicht, dass du eine Stadtfrau bist
so schön und fein sind deine Beschreibungen aus der Natur!
Liebe Grüße,Stela
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