Donnerstag, 13. Juli 2006

Der Wald aus lauter Bäumen



Stadtkinder in freier Wildbahn haben's schwer!
Im Februar hatte ich die Aufgabe, mich mit Erlen auseinander zu setzen. Keine leichte Übung, im tiefsten Winter so einen Baum zu finden! Erlen haben erstens kleine purpurne Kätzchen, außerdem kleine Zapfen und wachsen zweitens (zumindest bei uns) nicht wirklich als Baum, sondern haben mit Büschen Ähnlichkeit - so wie die Haselnuss. Die wiederum blüht praktischerweise fast zur selben Zeit wie die Erle, hat zwar gelbe Kätzchen - aber ich Stadtkind habe eine Weile gebraucht, um diesen feinen Unterschied zu begreifen. Ich kann mich also erinnern, einen guten Teil des Winters unter einem Baum verbracht zu haben, von dem ich nur vermuten konnte, er sei eine Erle. Der Zweifel hat an mir genagt!




Jetzt war ich wieder im Wald, in dem ich einen guten Teil des Winters und des Früh-Frühlings verbracht habe. Er ist jetzt wunderbar dicht und grün. Und der Baum, unter dem ich damals saß, hat jetzt das unverkennbare Blätterkleid einer Erle. Erleichterung!
Überhaupt hätte ich nie erwartet, dass das Wissen über die einen umgebende Natur einen Menschen derartig zufrieden machen kann. Mittlerweile kann ich durch einen Wald gehen und den Großteil der Bäume auseinanderhalten. Das habe ich unter anderem dem schönen Buch von Susanne Fischer-Rizzi zu verdanken, Blätter von Bäumen.
Anfangs war meine Aufgabe entmutigend - sich mit Bäumen auseinandersetzen, sie unterscheiden und kennen lernen ist keine leichte Sache, wenn man anfangs mit Müh und Not eine Fichte von einer Tanne unterscheiden kann und wenn es noch dazu Winter ist.

Das erste Mal, als mir gedämmert ist, dass Bäume so etwas wie einen Charakter, eine ganz enorme Ausstrahlung haben, war letzten Sommer. Ich war in Kärnten, am Ossiachersee. Ich bin mit meinem damaligen Freund im Wald spazieren gegangen. An einer Stelle ging der Weg bergauf, Büsche und Krautwerk verdeckten die Sicht. Mir fielen die vielen, leuchtend schönen Blätter auf dem feuchten Boden auf und eine gewisse erwartungsvolle Spannung lag in der Luft. Hinter der Steigung erwartete uns ein mächtiger Baum, der seine Äste in alle Richtungen über den Weg streckte. Der Anblick war tatsächlich atem-beraubend. Ich hatte damals noch keine Ahnung von Bäumen, wusste auch nicht, dass es eine Buche war. Ich fühlte mich einfach nur zu diesem Baum hingezogen, kam näher, legte eine Hand auf seinen Stamm. Über meinen Fingern waren zwei Runen eingeritzt, ganz deutlich. Mond und Sichel. Über dem See ging gerade der zunehmende Mond auf. Und es hat klick gemacht...
Mir ist es gar nicht so wichtig, einem Baum seinen richtigen Namen geben zu können. Ich will nicht klassifizieren, einordnen, abhaken. Ich will bewusst vor einem Baum stehen und wissen, was unsere Vorfahren mit ihm verbunden haben. Welche Geschichten und Mythen sich um die Bäume ranken, welche Medizin in ihnen steckt. Dann habe ich ganz einfach das Gefühl, einem ganz lebendigen, denkenden, fühlenden Wesen gegenüber zu stehen. Ich finde es immer wichtig, zu wissen, woher man kommt. Und es ist ganz erstaunlich, wie sehr die Landschaft das ererbte Wissen der dort lebenden Menschen prägt, ohne dass sie es je vermuten würden.

Viele der Bäume, mit denen ich mich bis jetzt etwas näher beschäftigt habe, haben mir ihren Charakter ein Stück weit offenbart. Ein Baum-Charakter äußert sich ja nicht in einer Stimme (wie bei Baumbart, dem grummeligen Ent...). Er ist viel mehr die Stimmung, die um einen Baum herrscht, die Vögel, die in ihm singen, die Wolken, die Gedanken und Träumereien, die man unter diesem speziellen Baum hat. Eine Sorge oder ein Problem muss ich nur eine Weile unter einen Baum legen, um sie zu verwandeln. Bäume sind mir Freunde geworden und ich kenne einen für (fast) jede Lebenslage.

Es gibt auch viele "traurige" Bäume. Ich habe einmal in Paris in einem kleinen Park einen Baum getroffen, in dessen Umgebung mir ganz eng ums Herz wurde. Das war ebenfalls bevor ich mich mit Bäumen zu beschäftigen begonnen habe. Dieser Baum wirkte auf mich wie ein kleines Kind, das verloren in der Gegend steht, das umarmt werden möchte. Dabei stand er mitten in diesem Park, umgeben von Bänken. Ich habe mein Gefühl nicht weiter beachtet, bis mir meine Bekannte später erzählt hat, dass an diesem Platz früher viel mehr Bäume waren und ein Kinderspielplatz. Ich glaube, dieser Baum hat seine Artgenossen vermisst und den Kinderlärm...

Und zum Schluss: dieses Etwas hat sich auf dem Waldweg verlaufen. Wollte dann partout auf meine Hand klettern, weil die so schön warm war. Hab es wieder ins Kraut gesetzt. Hoffe, es wurde noch nicht verspeist.

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