Das gibt mir die Möglichkeit, ganz wahrhaftig zu bleiben. Ich habe Raum zu sehen, wo ich Täuschungen unterliege, welche Erwartungen ich habe, wo ich gegen die Wand renne. Kurskorrektur, langsam. Es war die Hainbuche vor 2 Monaten: sie hat mich angestupst und auf mein Herz gedeutet: „Gib’s doch endlich zu: es flattert!“
Ich habe mit einer Freundin gesprochen, die im letzten halben Jahr die Liebe entdeckt hat. Bei mir ist es schon ein bisschen länger her, aber wir sind jetzt beide „Eingeweihte“. Was für ein Schatz, wenn man diese Fähigkeit in sich entdeckt! Sie wird zwar durch die Magie zwischen zwei Menschen wachgeküsst, aber dann ist es eigentlich völlig gleichgültig, woher die Liebe kommt – sie ist einfach da, bedingungslos, zweckentfremdet und vollkommen frei, sich auszubreiten. Und genau das macht sie auch. Und je mehr sie es tut, desto mehr kann man das eigene Streben, Sehnen und Wollen zur Seite legen und die Dinge ziehen lassen. Man hat plötzlich die Fähigkeit, die Liebe zu erzeugen und das ist wie Radfahren – einmal gelernt, nie wieder verlernt.
Also: ich habe den aufrichtigen Wunsch, diesen Mann lieben zu lernen. Möglichst ohne zu drücken und zu wollen. Ich weiß noch, dass ich’s kann, das mit dem Lieben. Ich komme der Sache näher: mit jedem So-Muss-Es-Sein, das ich gehen lasse und jedem Ich-Habe-Kontrolle, das mir den Buckel runterrutscht. Sogar die Tatsache, dass es mir die meiste Zeit schon herrlich wurscht ist, ob „das was wird“, erfüllt mich mit einem zufriedenen Glucksen. Ich stehe sicher.
Es ist mir jetzt ganz wichtig, mich gedanklich und körperlich immer wieder bewusst von ihm abzutrennen. Es ist eine Disziplin, der ich gerne folge, weil ich konzentriert bleiben möchte und diesen Weg auch weiterhin gehen will. Meine Aufmerksamkeit gehört zuallererst unter meine Haut, und das finde ich nicht einmal egoistisch. Mir ist es auch lieber, dass er sich auf seine Arbeit konzentriert, statt beim Gedanken an meinen Popo einen Computer vollkommen verkehrt herum aufzusetzen, oder Ähnliches. Ich entdecke ganz erstaunt, dass es möglich sein kann, mit einem Menschen zusammen zu sein und zugleich allein sein zu dürfen.
Im zur Zeit leeren Haus lerne ich, mit Stille umzugehen. Ich stelle mich ihr - mache Yoga im Garten, koche in aller Seelenruhe, esse langsam (und nicht vor dem Fernseher). Höre Schumann, lese ein Buch. Überlege mir schöne Übungsreihen für meinen Rücken und meine Muskeln. Alles nacheinander, mit Ruhe. Plötzlich gibt es so viel Raum und zugleich so viel "Nichts", das mir manchmal auch Angst macht. Aber dafür gelten meine Gesetze, meine Zeiteinteilung, mein Hunger, mein Durst. Ich lerne, der Bestie Stille in die Augen zu sehen und ihr zuzuhören.
Ich merke, wie ich mich wieder daran gewöhnen muss, still zu sein und auch niemandem mehr zuhören zu müssen. Das Unileben hinterlässt seine Spuren! Ich übe, immer wieder in den Raum zurück zu kommen, in dem ich unbeobachtet Atempuls und Herzschlag folge, sonst nichts. Ich bin amüsiert darüber, wie sehr ich mein Innenleben zugemüllt habe mit Menschen, an die ich denke, Termine an die ich denke, Prüfungen, die zu bestehen sind, Sorgen, Erwartungen, Rachegelüsten, Freudentaumeln, Besessenheiten. Manchmal lebe, denke und atme ich für all diese Personen, Ereignisse und Ideen um mich herum mit. Ich habe ihre tausend Augen auf mir, während ich auf der Matte den Helden mache. Sie essen von dem Sugo mit, das ich mir koche. Ich lasse mich von ihnen wegschwemmen an Trauminseln, oder in Sandschlösser, Wolkenpaläste… Es macht großen Spaß, immer wieder das Lasso auszuwerfen und mich samt meiner Aufmerksamkeit zurück in den Körper zu ziehen – auch wenn manchmal ich das Gefühl habe, einen großen Felsen einen steilen Hang hinauf zu stemmen…