Donnerstag, 9. Februar 2006

Freitag, 27. Jänner 2006

Aus dem Tagebuch

Ich sollte öfter schreiben, weil ich denke, dass die Dinge, die z.Z. geschehen, wichtig sind, auf stille Weise. Aber bei aufwühlenden Episoden schreibt es sich schneller, leichter und ohne literarischen Perfektionisten auf der Schulter. Ich kann gerade schlecht Dinge in Worte fassen, ich kann sie überhaupt nicht fassen - sie sind eben einfach, und das fühlt sich vollkommen gültig und in Ordnung an. Aber heute Mittag ist mir erstmals aufgefallen, wie überraschend undefiniert ich momentan bin: ohne Worte für das, was ich wirklich kann und bin, und dass mich das nicht stört. Anlass war, dass ich mir heute den herrlichen Luxus gegönnt habe, mir die Karten zu legen - "Die Vervollkommnung". Und auf dem Platz "Was ich lernen darf" kamen die 4 Münzen. Da geht es ja um die Materialisation d. Charakters. Paweska hat in seinem Buch folgende Übung dazu: seinen Charakter in allen Einzelheiten zu beschreiben, ohne Wertung, sondern beobachtend.
Ich habe früher (was heißt früher? 2 Wochen, 2 Monate oder was?) diese Charakterliste innerlich ständig bei mir getragen, bereit, sie jedem jederzeit vorzulesen, v.a. mir selbst. Ich habe eigtl. selten postuliert, so ODER so zu sein, ich war auch ganz stolz, den Widerspruch für meinen Charakter beanspruchen zu dürfen. Die Liste ist jedenfalls weg.
Wie ist mein Charakter? Äh... Naja, ich mag meinen Charakter, das sollte ich - ich habe keinen anderen, aber er ist nicht der Rede Wert. Er ist des Seins Wert, wenn sich das so geschwollen ausdrücken lässt. Ich habe den Ehrgeiz nicht mehr (und die Egozentrik), ihn auf einer inneren Liste mit mir zu tragen.
Auf dieser Liste war z.B. der Begriff "lebensfroh" ganz oben und dreimal unterstrichen. Es war mir so wichtig, dieses Feuer in mir, meinen Tanz, mein Lachen zu würdigen und heute denke ich auch, es sollte den grinsenden Tod in seine Ecke treiben. Ich bin immer noch lebensfroh, auch nach diesen Wochen die mich der Tod nun schon beschäftigt - oder vielleicht grade deswegen? Aber diese Freude steht nicht mehr auf meinem Banner, sie steht nirgendwo mehr, sie ist einfach, so wie vorher. Nur, dass sie mir jetzt nicht mehr als Schild dient, um nicht an das Nicht DENKEN zu müssen.
Und so ist es mit vielen Dingen, von denen ich weiß, dass ich sie mir früher oft als Litanei vorgebetet habe. Ja, ich denke immer noch, dass ich mutig bin - WENN ich darüber nachdenke. Ich denke auch, dass ich anziehend bin, musisch, sinnesfroh - WENN ich darüber nachdenke. Der Unterschied ist, dass ich nicht mehr anziehend, musisch und sinnesfroh wirken will (auf mich, auf andere).
Vielleicht fühlt sich so beginnende Seelenruhe an? Ich weiß nicht, vielleicht wird z.B. mein Mut eines Tages gebrochen, und von der Liste gestrichen - die Dinge werden nach und nach von der Liste gestrichen, und irgendetwas bin ich dann ja immer noch? Ich bin bestimmt auch ohne Eigenschaftsworte irgendetwas, und diesen Gedanken finde ich erschreckend und tröstlich. Erschreckend, weil ich doch gerne Eigenschaftswörter hätte und weil ich Worte im Allgemeinenso mag. Tröstlich, weil schlicht und ergreifend etwas an mir unstreichbar ist.
Ich bin nicht zufrieden - mein Freundeskreis gleicht eher einem Durcheinander an Bindfäden als einem sozialen Netz, aber ich bin geduldig und erkenne, dass man sich "da oben" schon viel Mühe gibt, um mir meine Wünsche zu erfüllen. ... Ich möchte mich bereit machen. Meine Unzufriedenheit rührt eigtl. nur aus meinem Bewusstsein für alle Baustellen, die in mir warten. Das regt mich nicht auf: ich sehe sie ja blinken und ich weiß, dass ich sie angehe. Ich erfreue mich an dem frühlingshaften Hauch, dem Gefühl des Aufbruchs, die durch meine Unzufriedenheit möglich werden.
Ich möchte nicht von dieser Welt gehen. Ich will auch nicht aus diesem Körper gehen, weil die beiden das Einzige sind, was ich kenne. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich mit dem Körper einer anderen Person tauschen würde, obwohl das sehr verlockend klingt...
Also, ich möchte leben, ohne vor lauter Todesangst sterben zu wollen. Ich will auf gar keinen Fall für mich allein lebend, obwohl es streng gesehen nicht anders geht. Außerdem hab ich grad Angst, mich in blauäugig romantische Träumereien zu schreiben - aber: ich möchte einen Partner, weil leben und seelenvoll sein so einfach besser funktioniert, zumindest für mich. Ich bin toll für mich und mit mir. Ich will jemanden lieben, ich verdiene es. Ich will nicht aufhören, Baustellen blinken zu sehen. Ich habe Angst davor, mich zu vereinsamen, weil ich denke, zu anders, zu schwierig, zu irgendetwas zu sein, um Teil von allem zu sein. Ich habe Angst davor, dass mir alle meine Eigenschaftswörter gestrichen werden, so wie es jetzt passiert, und so wie man das Wesen eines Baumes nicht definieren kann. Ich bin überhaupt nichts Besonderes, ich bin ein Mensch aus Fleisch + Blut und aus diesen Zutaten sind ein paar Milliarden, und alle wollen, und fürchten und reden, dass mir komisch wird.
Ich bin wichtig. Ich möchte selbstverständliche, wortlose Bedeutsamkeit in mir.

Keine Kommentare: