Freitag, 25. August 2006

dieser kleine blaue ball

Diese ganze Angelegenheit mit dem Aufbau eines neuen Zuhauses fasziniert und beschäftigt mich so sehr, dass ich ueber nichts anderes mehr schreiben möchte. Mir wird einfach nicht langweilig dabei, die vielen Facetten dieses Dings zu entdecken, das wir Heimat nennen.

Was mir in Schweden zu allererst aufgefallen ist, war der weite Himmel. Ich könnte stundenlang aus dem Fenster schauen, ich könnte stundenlang spazieren gehen, ich möchte riesengross werden und die Stirn in die Wolken tauchen. Es scheint hier aber niemandem aufzufallen, dass alle paar Minuten andere Lichtverhältnisse herrschen und dass die Wolken ständig neue Bilder ins Blau malen. Ich kenne das so nicht, ich bin Huegel und Berge gewöhnt - ich wusste einfach nicht, wie der Himmel knapp ueberm Horizont aussieht, weil da immer was davorstand.
In anderen flachen Landschaften werde ich ueblicherweise depressiv, oder zumindest ziemlich traurig. Ungarn: Horror. Niederlande: Panik. Nordfrankreich, kurz vor Paris: Agoraphobie!
Warum funktioniert es hier auf einmal? Was ist der Unterschied? Vielleicht, weil ich mich gezwungen sehe, irgendetwas hier schön zu finden, wenn ich nicht fuer ein Jahr lang ungluecklich sein will?

Ich bin vollkommen verliebt in Lunds Bäume, ich kann es nicht oft genug erwähnen. Es gibt hier so viele verschiedene davon, die meisten sind auch noch richtig alt. Die Stadt selbst ist relativ modern, aber die Bäume schätze ich im Durchschnitt auf mindestens 150 Jahre, also denke ich mir, dass beim Ausbau nicht viel umgeschnitten wurde. Es wirkt teilweise sogar so, als hätte man den Pflanzen hier ebenso viel Lebensraum zugestehen wollen, wie den Menschen. Ich habe noch keine anderen schwedischen Städte gesehen, aber allein die Tatsache, dass in einer kleinen Stadt auf dieser Welt Bäume noch geachtet werden, versöhnt mich wieder mit der Menschheit... ;)
[Vor meiner Haustuer in Graz wurden vor kurzem viele alte Freunde von mir einfach abgesägt, ich weiss gar nicht wirklich warum, sie standen vorher schon die ganze Zeit neben der Bahnstrecke, jetzt durften sie dort anscheinend nicht mehr sein... Nussbäume, Apfelbäume, Ahornbäume, Pappeln... Ich habe die ganze Nacht geweint und gezittert vor Wut... nur nebenbei]

Was ist denn noch alles "Zuhause", was nicht? So viele Kleinigkeiten: Strassenschilder, Tuerklinken, Zebrastreifen, Hausformen, Fensterrahmen, Briefkästen, Strassenpflaster...

Frueher, wenn wir mit dem Auto zu meiner französischen Familie gefahren sind, gab es einen Moment, knapp nach dem Passieren der Schweizer Grenze, in dem es mir immer gleich ging. Es war der Zuhause-Moment: "Ah, da sind sie endlich, diese ganz speziellen Strassenschilder und Fensterrahmen!" Bis heute erlebe ich die Landschaft, die Bäume und Strassen dort als völlig einzigartig - das ist mir erstmals aufgefallen, als ich mit einer Freundin dort spazieren war. "Siehst du, solche Felder gibt es nur hier, bei mir zuhause!", hab ich gesagt. "Was? Sieht doch aus wie bei uns!"

Ich kenne nichts so Schönes wie den Anblick eines verwitternden Steinmäuerchens, das sich traumverloren durch die trockene, flirrende Augustlandschaft meiner französischen Heimat schlängelt.

Nichts so Ehrfurchtsgebietendes, wie nächtens in einem See in meiner österreichischen Heimat zu schwimmen; die Bergriesen rund um mich im dunklen Wasser gespiegelt.

Ich sitze hier in Lund und es kommt mir so vor, als wäre die Welt geschrumpft und gewachsen zugleich. Ich bekomme Post von Freunden aus Afrika, oder vom Jakobsweg... Es gibt so viele Leben, so viele verschieden Arten, ein Leben zu leben... Ja, natuerlich komm ich mir ein bisschen blöd vor, mit offenem Mund vor so ausgetretenen Wahrheiten ("Das Gras ist gruen, der Himmel ist blau, die Menschen menscheln, die Maus bleibt grau") stehen zu bleiben.

Genau das will ich aber tun. Es erscheint mir eine ziemlich grosse Tatsache zu sein, dass ich nur eine Möglichkeit von einer Handvoll Milliarden bin, sich diesen blauen Ball zum Zuhause zu machen. Und dass ich mir von den anderen paar Milliarden bestimmt auch einiges abschauen könnte. Fuehl mich wie ein Kueken...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebste Artemisia,

ich bin vor Tagen auf Dich gekommen in Gedanken und weiss auch nicht so recht wieso. Ich musste auf einmal an Dich denken. Meist passiert mir sowas auch mit anderen Fori-Freunden und kaum geh ich ins Forum und sehe dann eine Nachricht für mich. So etwas ähnliches habe ich eben in Deinem Fall auch erwartet. War aber nicht so, nun ich hab mal geguckt, wann Du das letzte mal wohl da warst und bin über die Suche Funktion auf Deinen letzten Beitrag gesprungen und genau dabei ist mir erst Deine Blog-Seite aufgefallen. Seit Tagen lese ich nun was Du hier alles niedergeschrieben hast. Es berührt mich sehr und ich habe Tränen in den Augen gehabt. Irgendwas ganz tief in mir, versteht ganz genau, was Du alles da niederschreibst und kann es nachempfinden. Ich wollte Dir auf diesem Wege nur alles Liebe wünschen und Dich mal ganz arg knuddeln. Ich wünsche Dir, daß Du Schweden bald ein wohliges "zuhause" hast. Ich selbst fühle mich überall da zuhause, wo meine Seele sich gestreichelt fühlt. Sowas zeichnet sich bei mir schon in wenigen Tagen ab. Es ist wunderschön, mit welchen Augen Du die Welt betrachtest und Dingen hinter her sinnierst, die andere für Selbstverständlich halten. Bleib so wie Du bist! So bist Du genau richtig! Alles Liebe, Sibel alias Loquita

artemis hat gesagt…

Liebste Loquita,

danke fuer deine lieben Worte!

Ich selbst fühle mich überall da zuhause, wo meine Seele sich gestreichelt fühlt.

Das ist ein guter Hinweis!
Ja, meine Seele fuehlt sich hier oft gestreichelt.
Dann wird ja alles gut, hm?!

ganz liebe Gruesse und eine Umärmelung zurueck

:)))
Artemis(ia)