Samstag, 19. August 2006

Baumtrost, in der Fremde

Hatte gestern einen richtig anstrengenden Tag - psychisch.
War 3 Stunden lang im Netz, habe ein bisschen geweint. So viele schöne Mails. Einsamkeit und Fremdsein haben mir plötzlich richtig zugesetzt. Fuehlte mich ganz paranoid, wollte aus dem Computerraum gar nicht mehr hinaus. Hab es trotzdem gewagt, bin durch die Stadt, hab einen billigen Tuerken gefunden, bei dem es Gemuese und Obst zu halbwegs normalen Preisen gibt (ich bin nicht bereit, umgerechnet ueber 4Euro fuer ein Kilo Vitamine zu bezahlen!).

Habe mich durch die Stadt treiben lassen - es macht mir Spass, jeden Tag ein paar neue Strassenzuege gruendlich zu erkunden.
Auf dem Weg vorbei an der Domschule ging ein kleines Mädchen an der Hand seiner Mutter. Die Kleine hatte einen Plueschaffen ueber der Schulter hängen und strahlte diese ganz spezielle kindliche Unbeschwertheit aus. Ich musste an ein Foto von mir im selben Alter denken, auf dem ich einen Puppenwagen schiebend die Strasse entlang gehe. Ich habe versucht, die Stadt mit den Augen dieses kleinen Mädchens zu betrachten - habe mir gedacht, dass das alles, was die Kleine jetzt wahrnimmt, fuer sie immer mit Heimat verbunden sein wird. Also könnte ich's doch so machen wie sie!

Habe beim Beobachten von Mutter und Tochter ganz zufällig den Eingang zum wunderschönen Stadtpark gefunden. Nach ein paar Schritten hat sich schon ein Rotkelchen ganz nah auf einen Ast zu mir gesetzt und gesungen - ich hätte es mit der Hand fangen können! Grundsätzlich ist mir aufgefallen, dass die Vögel hier viel näher an die Menschen heranfliegen.
Ich bin durch den Park geschlendert und habe nach einem schönen Baum Ausschau gehalten, von dem ich mich ein bisschen trösten lassen könnte.

Habe auch schnell einen gefunden. Ich scheine nicht die Einzige zu sein, die diesen Baum gern besucht; seine Rinde ist voller Herzen und Narben. Das Zelt, das seine herabhängenden Zweige bilden, hat etwa einen Durchmesser von 10 Metern und ist absolut blickdicht. Bin in seine Krone geklettert und bin ganz schnell ganz still geworden. Hab den Baumbewohnern ein paar Nuesse hinterlassen.


Hatte auf einmal ganz deutlich das Bild der Hainbuche vor mir, die ich im Juli öfters besucht habe. Erinnerte mich plötzlich daran, dass ich mir unter diesem Baum einmal gewuenscht habe, auch in Schweden schnell eine tröstende Baumseele finden zu können. Vielleicht hat die Hainbuche meinen Wunsch ja nach Lund gefaxt? Manche behaupten, Bäume könnten sowas... Aus dem Baum kam tiefes Lachen.
Dachte noch ueber alles nach was mir momentan auf den Schultern lastet, hörte den Blättern zu. Es fällt mir schwer, Einiges loszulassen, das zwar verändert gehört, was ich jetzt aber weder verändern kann noch muss - schon gar nicht aus einer Entfernung von etwa 1500 Kilometern... Dabei muss ich mich ja gar nicht fuer eine Richtung entscheiden, nur damit ich eine Richtung habe. Es geht nur um eines: Ehrlichkeit. Das ist genug.

Als ich wieder aus dem Park geschlendert bin, war ich wie erneuert und froh. Bin den selben Weg zurueck zu meinem Rad spaziert und musste beim Anblick der Häuser lachen, welche Gemuetswandlung ein Mensch innerhalb einer halben Stunde vollziehen kann. Was mir beim Hinweg fremd und hässlich erschien, gefiel mir auf einmal. Hatte sogar das Gefuehl, das hier alles bald "Zuhause" nennen zu können.

Keine Kommentare: