Dienstag, 22. August 2006

Essen


Eine meiner Mitbewohnerinnen hier ist vom Thema Essen vollkommen besessen. Es ist interessant zu beobachten, welchen Einfluss sie bzw. ihre Einstellung auf mich haben. Kann es kaum in Worte fassen (ueberhaupt merke ich, dass mir mein gesamter deutscher Wortschatz, meine Ausdrucksfähigkeit und -leichtigkeit verloren gegangen sind, seit ich keinen deutschsprachigen Boden mehr unter den Fuessen habe... warum ist das davon abhängig???).

Habe ja ernsthaft geglaubt, dass es hier vor allem darum gehen wird, Schwedisch zu lernen und zu studieren. Stattdessen kommen unerledigte Themen und Gefuehle in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit an die Oberfläche und sausen mir nur so um die Ohren. Ernährung, Futter, Hunger und Sättigung sind solche Themen.

Dieses Mädchen - was soll ich sagen? Ihre Besessenheit äussert sich darin, dass sie ständig darueber spricht was sie isst (oder eben nicht), wie schnell was verbrannt wird, welche Kalorien was hat, ob die gut oder böse sind, zu welcher Tageszeit man am Besten essen sollte, blabla. Natuerlich ist sie ganz schlank und zierlich. Vor kurzem war sie nur noch ein Knochenhaufen, ich habe Fotos gesehen. 38kg auf geschätzte 1m50. Hm.

Und was passiert mit mir: ich vergleiche mich. Grundsätzlich bin ich eine Verdrängungs-Esserin. Ich manövriere mich gerne in einen Teufelskreis hinein, in dem mein Körperhass durch Futter ueberdeckt werden soll und das Futter wiederum Körperhass auslöst. Insgeheim bewundere ich Frauen, die einfach aufhören können, zu essen. Aber andererseits finde ich sie dumm und unreif. Das ganze Thema ist ja so widerspruechlich - mit Logik und Verstand kommt man auf diesem Gelände nicht weit: wenn ich mich hässlich fuehle, weiss ich zugleich, dass ich keinen Grund habe, mich verstecken zu wollen, meinen Körper zu beschimpfen oder mich aus ihm hinaus zu fluechten.
Es ist mir noch ein wenig schleierhaft, was dieses Mädchen in mir auslöst oder warum das so ist. Aber eigentlich ist es mir egal, denn ich weiss ohnehin, was zu tun ist. Ich bin nicht mehr bereit, an mir selbst Raubbau zu betreiben. Ich bin auch nicht bereit, meinem Körper dafuer die Schuld zu geben, dass er nicht aussieht wie ich es will, wenn ich mir selbst den Kopf ins Essen druecke. Ich bin schon stolz auf mich, dass ich genuegend gelernt habe, um jetzt so schnell die Bremse ziehen zu können. Ich brauche noch keine Notbremse. Und ich bin sehr dankbar fuer meine Lage, mittlerweile macht mir diese Herausforderung Spass. Zunächst war ich wie erschlagen, jetzt will ich schneller und gewitzter sein als mein innerer Räuber. Das macht mich ziemlich einfallsreich und schnippisch!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

liebe artemis, hatte deine blogadresse verschlunzt. hab dich seit wochen nun schon im netz gesucht, in moonpower bei sigrid so lang gesucht, wochenlang, und dich nun endlich wiedergefunden. bin ich froh!!! du mit deinen einträgen hast mir derart gefehlt, dein empfinden hat wohl sehr viel auch mit mir zu tun, eine seelenschwester.
ich denke, alle themen, die dich selbst betreffen, kommenso lange in dein leben, bis du dich damit ausgesöhnt/geschwestert hast. es sind immer neue, tiefere stufen, die zum vorschein kommen, also immer heftigere konfrontationen mit deinen eigenen lebensthemen, bis du sie gelöst/erlöst hast.

artemis hat gesagt…

liebe gabi,
schön, dass du wieder mitliest! :)

es sind immer neue, tiefere stufen, die zum vorschein kommen, also immer heftigere konfrontationen mit deinen eigenen lebensthemen, bis du sie gelöst/erlöst hast.

ja, toll, oder?
man wird immer gelassener und nimmt die eigenen paranoiden anwandlungen nicht mehr so ernst.

man war ja schon mal da.

oder irgendwo in der nähe.

was soll ich sagen - das leben funktioniert eben!

lg von artemis