Dienstag, 19. September 2006

Es wird wieder dunkel


Nach einem 3 wöchigen Rundumangriff auf meine Gesundheit (Grippe, entzündete Mandeln, entzündete Blase und dazu noch totale Verstopfung) bin ich wieder halbwegs hergestellt - aber so erschöpft, dass ich irgendwie nicht mehr einschlafen kann. Fühl mich wie die Wäsche nach dem Schleudergang. Und ich habe zum ersten Mal Heimweh. Möchte auf den Schlossberg klettern, am Fluss auf meiner Weide sitzen, nicht ständig die Ohren spitzen müssen sondern einfach verstehen, was die Menschen um mich herum sprechen. Habe jetzt mal genug von der Selbsterfahrung. Will nicht mehr alle paar Meter neues unbekanntes Seelenland zu betreten, auch wenn das wirklich schön und lehrreich ist. Habe keine Kraft mehr dafür. Jetzt nicht.

Ich liebe die schönen runden Karten aus dem "Göttinnenzyklus", ganz besonders dann, wenn's mir nicht so gut geht. Habe gestern eine Kraftkarte gezogen:

Das VIII Haus, der Geheime Ort

Hier geht es um Loslassen in einem Bereich jenseits vom Anstand, sozusagen. Habe mir Zeit für die dazugehörige Übung genommen: der Schattenkraft begegnen, sie zeichnen, ihr zuhören. Die Zeichnung ist sehr minimalistisch ausgefallen, ein paar flammender Augen, scharfe Zähne, Blut, eine lange Zunge - Kali, im Großen und Ganzen... Sie hockt im Dunkeln, ist ausgemergelt und sehnig, klein, flink und sieht aus wie das weibliche Gegenstück zu Gollum. Sie ist abgrundtief böse, zieht die Haut von den Knochen, zerfleischt, frisst auf, nimmt den Verstand, kennt keine Grenzen, keine Moral, keine Logik. Sie tötet nicht aus einem Bewusstsein für Zyklen, oder aus Gerechtigkeit, sondern ganz einfach, weil sie töten möchte. Sie mag Blut. Das ist die einzige Regel.

Manchmal habe ich kein Problem mit ihr, sie ergänzt mich ganz wunderbar. Ich muss nicht sie sein.
Oder vielleicht ist das auch ein Trick - dass sie mich glauben lässt, ich wolle sie nicht verstecken? Ich sehe nämlich immer weniger Grund, sie zu verbergen. Manchmal bin ich sogar richtig gerne ein Arschloch (beängstigend, befreiend...)! Meine Schattenkraft fühlt sich geradezu herausgefordert, blutig zu reagieren, wenn mich jemand mit Anerkennung, Lob und Komplimenten überhäuft. "Nicht mit mir!" brüllt sie, "Glaub' bloß nicht, ich ließe mich kaufen!" Und ich mag dieses Gefühl, habe einen guten Sensor entwickelt für Menschen, die wirklich aus Freude loben oder meine Nähe suchen, und solche, die eigentlich etwas anderes möchten. Habe mich als Zerstörerin erlebt, diese Kraft und Befreiung genossen und gelernt: manchmal ist die völlige Verwüstung der einzige Weg, die Erde wieder fruchtbar zu machen. Im Moment der Zerstörung aber habe ich das nicht im Auge. Da geht es einfach nur darum, wirklich jeden Knochen zu brechen, jede dunkle Ecke zu betreten, zu sterben, ohne daran zu glauben, dass man jemals wieder heil und lebendig werden wird.

Manchmal habe ich ein Problem mit ihr:
Wenn sie schneller ist als ich. Wenn sie mich in Fieberträume schickt. Immer dann, wenn sich ihre Blutlust gegen mich wendet. Wenn ich mit ihrer Hilfe den Anstand verletze, aber nicht an der Stelle, an der es mich wirklich weiterbringen würde. Wenn sie ausgerechnet dann verschwindet, wo ich sie wirklich brauchen könnte. Weil sie mir Angst macht, meiner Kontrolle entgleitet. Weil ich nicht sterben möchte. Und weil ich manchmal - so wie jetzt - einfach keine Energie, kein Fleisch mehr für sie habe.


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