Samstag, 16. September 2006

01:13

Die Diskussion der Internet-Community läuft derzeit heiß: Ratzinger; Religion; Respekt; Macht; Auflehnung; (blinder) Glaube; Verhärtung;... nur ein paar Stichworte.

Interessant ist daran nur, dass ich mich zufälligerweise (?) gerade selbst seit Längerem mit der Entwicklung und Geschichte meines persönlichen Glaubens auseinandersetze. Zum Beispiel auch jetzt nächtens um 01:13 auf dem Thron, wo ich seit einer Stunde daran arbeite, eine Blasenentzündung auszuschwemmen (der Vollständigkeit halber möchte ich noch anmerken, dass im Hintergrund Strauss-Walzer laufen und später noch Strauß-Lieder laufen werden - ich weiß, das Gesamtbild ist bestimmt etwas verstörend).

Also.

Ich habe einmal im Radio von einer Untersuchung gehört, die u.a. zu Tage förderte, dass Menschen eher öffentlich über ihre perversesten sexuellen Vorlieben/Gelüste plaudern, als über ihren Glauben und ihr religiöses Empfinden. Ich denke auch, dass ein öffentlicher Diskurs über persönlichen Glauben relativ nah an das Bild herankommt, mit weit gespreizten Beinen auf einer großen, großen, grell ausgeleuchteten Bühne zu liegen. Zumal Menschen, die sich als gläubig outen, leicht einmal mit ein paar mitleidig-belächelnden Blicken bedacht werden. Dummerweise sind ja fast ausnahmslos auch die Versender solcher Blicke selbst ja auch gläubig (selbst wenn sie an nichts glauben, glauben sie ja noch).

Ich bin sehr feig. Ich sage wenigen, dass ich glaube und fast niemandem, was ich glaube. Eher spreize ich noch vor einem völlig Unbekannten weit die Beine oder gebe zu, dass ich verdammt gerne Strauß- oder Puccini-Opern auf Schallplatte höre und dabei vor mich hin weine, ehrlich. Und auch meine Zeiten als totale Anzweiflerin habe ich weitgehend heimlich verbracht. Eine meiner jugendlichen Lieblingsbeschäftigungen war das Beschimpfen Gottes möglichst auf blasphemische und dreckige Art und Weise, und zwar jeden Tag auf der Toilette (was hat es mit dem Klo auf sich?). Es ging mir nicht darum, z.B. bestehendes Unrecht anzuklagen (sterbende Menschen, hungernde Kinder). Ich war einfach ziemlich angewidert von diesem überirdischen Etwas, das beständig als "unendlich groß", "allwissend", "voller Liebe" beweihräuchert wird. So gütig, dass es milde lächelnd an der Kreuzung wartet, um uns vom rechten Weg abkommen zu sehen und uns dann, wenn wir unseren dummen menschlichen Fehler wieder eingesehen haben und reumütig zurückgekrochen kommen, genauso milde lächelnd wieder an der Hand zu nehmen. Ein Gott, der sich durch das Geschenk des freien Willens an seine Menschen geschickt aus aller Verantwortung herauswurschtelt und dabei aber leise weinend zusieht, wie sie sich gegenseitig Schmerzen zufügen und in den Abgrund laufen (ein Maso?). Mein Gottesbild war das einer im Stillen allmächtigen Hausfrau des 19. Jahrhunderts, die milde lächelnd Unpünktlichkeiten und Unzulänglichkeiten ihrer Schäfchen hinnimmt, ihnen geduldig bei ihren Verirrungen zusieht ohne auf den Tisch zu hauen oder laut und ausfällig zu werden (weil: jeder muss selbst lernen) und dabei aber sowieso alles schon besser weiß, was sie aber die armen Würmchen in ihrer unendlichen Liebe niemals spüren lassen würde - sie lehnt nur milde und gütig in der Tür und sieht zu, wie sie sich gegenseitig die Haare ausreißen oder in ihr Unglück taumeln...

Einige Jahre später:
Ich bin aus der Kirche ausgetreten, weil ich mich von ihr spirituell ausgehungert fühle - eine Päpstin würde daran nichts ändern, weil ich nämlich nicht mehr nur an eineN Gott glaube, ich alte Heidin. Die Entdeckung der GöttIN war eine Offenbarung für mich, hat meine Seele gestreichelt, hat eine Begegnung mit DEM Gott erst wirklich möglich gemacht... Ich glaube nicht daran, dass die Schöpfung abgeschlossen wurde und perfekt ist wie sie ist (egal ob in 7 oder in 7 Milliarden Tagen) - ich bin überzeugt davon, dass sie immer weiter und weiter erschaffen wird, dass daran nicht nur die da oben beteiligt sind UND dass sie schön ist.

Und sonst?

Ich gestehe:

Ja, die Götter sind unendlich groß.
Ja, die Götter sind unendlich wissend.
Ja, sie sind voller Liebe.
Ja, sie lassen mich manchmal davonlaufen,
und gehen heimlich trotzdem mit.
Ja, sie verweigern mir nie ihre Hand,
wenn ich sie brauche.

Aber das alles würde ich gar nie
und in keinem Fall
zugeben.

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