Dienstag, 4. März 2008

innenräume - svadhyaya

svadhyaya

Studium, Untersuchung, Erforschung des zu mir Gehörigen; nahe an etwas herantreten; Betrachung


Einer der fünf Niyamas, Qualitäten der persönlichen Entwicklung.







Wir hatten in Schweden einen riesigen Kühlschrank mit einer Unzahl von Magneten, der von einem der Mädchen zur offiziellen Pinwand erklärt wurde. Jede Woche sollten wir da den momentanen Stand unserer Lebensweisheit festhalten. Etwas Tiefsinniges sollte es sein, also kritzelte ich irgendwann 'Your breath is a doctor' auf ein Post-it und klebte es zwischen die Stundenpläne. Die Botschaft war vorrangig als Aufmunterung an mich gedacht. Von den anderen wurde der Zettel schräg angeschaut, fiel dann auch bald ab und wurde in den Müll gekehrt; hat sich aber interessanterweise für mich in einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung im Laufe der nächsten Monate bewahrheitet.


Wenn sich Menschen/Medien über "Esos" amüsieren, dann wird häufig das Atmen aufs Korn genommen: ein paar tiefe Atemzüge, gütig lächeln, vielleicht ein 'Om' drüber streuen und alles ist wieder eitel Wonne. Zumindest in der Praxis mit der ich vertraut bin - dem Yoga - wird die Bedeutung des Atems gar nicht oft genug unterstrichen. Einige gehen so weit zu behaupten, dass alles außer dem Atem nebensächlich wäre.

Der Atem ist so eine banale Angelegenheit, er 'passiert uns' nebenher. Beim Unterrichten ist mir oft aufgefallen, dass es ein bestimmtes Alter gibt, in dem Kinder (v.a. Mädchen) das natürliche Atmen verlernen, was kaum jemandem auffällt. Sie können einfach nicht mehr in den Bauch atmen. Viele Menschen haben keinerlei Kontrolle über ihren Atemapparat; können Intensität, Dauer und Gleichmaß der ein- und ausströmenden Luft nicht steuern.

Eine Schülerin - sie war 9 - begann von einem Monat zum anderen, den Ton zu pressen und litt beim Spielen plötzlich unter ständiger Atemnot. Sie war sehr aufgeweckt und nahm genau wahr, wie die Verkrampfung ihres Körpers ihr buchstäblich die Luft raubte. Die Tatsache, dass es ihr nicht ohne weiteres gelingen wollte, sich selbst die tiefe Atmung wieder zu erlauben, machte sie rasend. Mit jedem Versuch, eine tiefe Atemwelle durch den Körper zu schicken, brandete diese an einer Hürde (häufig Bauch-Rücken-Muskulatur) und machte ihr damit die innere Eingeklemmtheit deutlich. Tränen der Wut und der Scham waren in diesen Wochen nicht selten. Ich durfte mitverfolgen, welche Herausforderung das Atmen bedeuten kann und wieviel Überwindung und Mut dazu gehören können, sich wieder zu einem heilsamen Atem vor zu arbeiten.





Der Atem ist die ursprünglichste Sprache. Die Callas war legendär, weil sie die Atempausen in die Musik mit einbezog. Verliebte berauschen sich am Atem des Schlafenden an ihrer Seite. Der Atemzug, der uns weitet und dehnt, erfüllt uns und hilft uns, die Begrenzung und Form unseres Körpers im Raum wahrzunehmen. Wir schnauben im Zorn, schnappen im Schrecken nach Luft, seufzen beim Anblick schöner Dinge. Wir atmen tief durch; lösen Sorgen; saugen Wohltuendes ein - alles mit dem Atem.


Atem verbindet. Wir atmen alle dieselbe Luft. Wenn wir gut durchgelüftet sind, reisen Infos leichter durch den Körper - wir denken schneller, sind fröhlicher, scheiden Müll leichter aus. Wir leben, weil wir Luft dazu haben. Wir sprechen zueinander, solange es Puste dazu gibt. Wir kommen auf eine Wellenlänge, wenn wir im Einklang atmen. Eltern hauchen aufgeschlagenen Knien Genesung ein. Wir blasen uns Küsse zu. Über die Luft kommen allerhand unsichtbare Dinge zu uns.

Im Atem liegt tatsächlich der Schlüssel zur Kraft des Menschen. Eben weil er uns jederzeit zugänglich ist; weil niemand darüber nachdenken muss. Es braucht nicht einmal Atempraktiken dazu. Es ist wirklich unerhört einfach. Es kostet nicht einmal Geld.

Ich muss nur aufmerksam sein. Willens, dem Hauch, der mich von Anfang an am Leben hält, zu zu horchen. Was ist in der Zwischenzeit aus ihm geworden? Vielleicht halte ich 30 Sekunden lang die Luft an, um die Freude über meine Lungen wieder zu spüren.


Und es beginnt die Reise - an Orte, die der Atem schmerzlich aufwühlt und an solche, die der Luft mit Glücksgefühlen antworten. Hinein in einen Raum in der Mitte des Körpers, der mit der Zeit immer offener und freier werden wird, an dem ich mich sammeln kann und alles finde, was ich brauche oder wissen will.

8 Kommentare:

kvinna hat gesagt…

Woher nimmst du das bloß alles? In deinem Alter? Es haut mich immer völlig um, wie sehr du bei mir ins Schwarze triffst! Unglaublich!

Sati hat gesagt…

Danke. Schöner Post.
Wenn ein Mensch 3 Minuten lang nicht mehr atmet, ist er tot, habe ich kürzlich noch gehört.
Meine jetzt 80-jährige Mutter bekommt schon seit vielen Jahren sehr schlecht Luft und seit einigen Monaten hängt sie an einem großen Sauerstoffgerät - ohne das sie schon das Ende erreicht hätte.

Ich glaube, die, die sich über "atmende Esos" belustigen, sind sich selbst peinlich und sehr fern.
Wenn wir uns bewußter darüber wären, welche Bedeutung dem Atem und damit auch sauberer Luft zukommt, würden wir vermutlich sorgsamer mit dem Planeten umgehen.

Anuja

Sati hat gesagt…

Ach, und mit Verlaub noch eine Off-Topic-Frage, die mich ebenfalls heute bei mir drüben erreichte: Wie und womit machst du die Foto-Collagen?

artemis hat gesagt…

Tja, kvinna
ausnahmsweise weiß ich auf eine Frage mal keine Antwort...

Aber Alter ist doch überbewertet, oder? :-)

artemis hat gesagt…

@ Anuja:
ja, Luft ist neben Wasser eins der Dinge, ohne die's wirklich nicht lang geht. Trotzdem kriegen wir von beidem zu wenig.

Dass sich manche Leute selbst peinlich sein könnten - stimmt, daran hab ich in diesem Zusammenhang noch nicht gedacht. Allerdings hielt ich selbst diese Luft-Verliebtheit im Yoga für komplett übertrieben. Und heute, naja, ist der Atem mein Arzt :) Das hat sich durch absichtsloses "Nebenbei-Atmen" so entwickelt. Ich konnte mit Atemtechniken nie viel anfangen (außer denen, die ich für die Musik unbedingt brauche). Spannend finde ich eben, wie der Atem die Schnittstelle zwischen den körperlichen und den geistigen Vorbedingungen, Vorlieben und Befindlichkeiten bildet. Das ist die reinste Austausch-Zentrale, im Innen wie im Außen.

Zu deiner Frage: ich mache die Bilder mit meiner winzigen Nikon Coolpix L4, die ich was die Belichtung angeht ständig austricksen muss, aber ansonsten innig liebe. Schneiden und Zusammenstoppeln der Bilder dann mit Photoshop.

kvinna hat gesagt…

@artemis: du hast natürlich Recht mit der Aussage über's überschätzte Alter. Manche werden NIEMAL klüger, auch mit 100 nicht. Aber wenn ich an mich in deinem Alter denke - weia, da muss ich mich beinah schämen, was die Reife angeht! ;D

Sati hat gesagt…

Das mit dem Alter ist ja sehr wechselhaft. Nach Überschreitung eines gewissen Ziffern-Zenits wollen dann die meisten wieder jünger werden. 1000 Mal gehört im Taxi von den älteren Passagieren: "Werden Sie bloß nicht alt!"
Manche bleiben jung im Geiste - und damit auch lebendig.
Genau: Alter in Ziffern ausgedrückt sagt erst einmal nichts weiter aus.

Ich mache übrigens bis heute keine Yoga-Atemübungen ... und bin von Haus aus Tief- und Lang-Atmerin. Vielleicht fange ich jetzt mal damit an, danke nochmal für die Anregung (und für den Tip mit Photoshop, dachte ich´s mir doch, daß sowas da geht - da geht ja fast alles, außer Gelddrucken).

Anuja

Ursel hat gesagt…

Hallo Artemis,

neugierige Frage :
Welches Blasinstrument spielst Du denn ??
Holz oder Blech ?

Jou, ohne meine Flöten und den Gesang hätte ich vermutlich auch einen engeren Atem. Das hilft schon enorm.

Grüsse
Ursel