svadhyaya
Studium, Untersuchung, Erforschung des zu mir Gehörigen; nahe an etwas herantreten; Betrachung
Einer der fünf
Niyamas, Qualitäten der persönlichen Entwicklung.
Wir hatten in Schweden einen riesigen Kühlschrank mit einer Unzahl von Magneten, der von einem der Mädchen zur offiziellen Pinwand erklärt wurde. Jede Woche sollten wir da den momentanen Stand unserer Lebensweisheit festhalten. Etwas Tiefsinniges sollte es sein, also kritzelte ich irgendwann 'Your breath is a doctor' auf ein Post-it und klebte es zwischen die Stundenpläne. Die Botschaft war vorrangig als Aufmunterung an mich gedacht. Von den anderen wurde der Zettel schräg angeschaut, fiel dann auch bald ab und wurde in den Müll gekehrt; hat sich aber interessanterweise für mich in einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung im Laufe der nächsten Monate bewahrheitet.
Wenn sich Menschen/Medien über "Esos" amüsieren, dann wird häufig das Atmen aufs Korn genommen: ein paar tiefe Atemzüge, gütig lächeln, vielleicht ein 'Om' drüber streuen und alles ist wieder eitel Wonne. Zumindest in der Praxis mit der ich vertraut bin - dem Yoga - wird die Bedeutung des Atems gar nicht oft genug unterstrichen. Einige gehen so weit zu behaupten, dass alles außer dem Atem nebensächlich wäre.
Der Atem ist so eine banale Angelegenheit, er 'passiert uns' nebenher. Beim Unterrichten ist mir oft aufgefallen, dass es ein bestimmtes Alter gibt, in dem Kinder (v.a. Mädchen) das natürliche Atmen verlernen, was kaum jemandem auffällt. Sie können einfach nicht mehr in den Bauch atmen. Viele Menschen haben keinerlei Kontrolle über ihren Atemapparat; können Intensität, Dauer und Gleichmaß der ein- und ausströmenden Luft nicht steuern.
Eine Schülerin - sie war 9 - begann von einem Monat zum anderen, den Ton zu pressen und litt beim Spielen plötzlich unter ständiger Atemnot. Sie war sehr aufgeweckt und nahm genau wahr, wie die Verkrampfung ihres Körpers ihr buchstäblich die Luft raubte. Die Tatsache, dass es ihr nicht ohne weiteres gelingen wollte, sich selbst die tiefe Atmung wieder zu erlauben, machte sie rasend. Mit jedem Versuch, eine tiefe Atemwelle durch den Körper zu schicken, brandete diese an einer Hürde (häufig Bauch-Rücken-Muskulatur) und machte ihr damit die innere Eingeklemmtheit deutlich. Tränen der Wut und der Scham waren in diesen Wochen nicht selten. Ich durfte mitverfolgen, welche Herausforderung das Atmen bedeuten kann und wieviel Überwindung und Mut dazu gehören können, sich wieder zu einem heilsamen Atem vor zu arbeiten.
Der Atem ist die ursprünglichste Sprache. Die Callas war legendär, weil sie die Atempausen in die Musik mit einbezog. Verliebte berauschen sich am Atem des Schlafenden an ihrer Seite. Der Atemzug, der uns weitet und dehnt, erfüllt uns und hilft uns, die Begrenzung und Form unseres Körpers im Raum wahrzunehmen. Wir schnauben im Zorn, schnappen im Schrecken nach Luft, seufzen beim Anblick schöner Dinge. Wir atmen tief durch; lösen Sorgen; saugen Wohltuendes ein - alles mit dem Atem.
Atem verbindet. Wir atmen alle dieselbe Luft. Wenn wir gut durchgelüftet sind, reisen Infos leichter durch den Körper - wir denken schneller, sind fröhlicher, scheiden Müll leichter aus. Wir leben, weil wir Luft dazu haben. Wir sprechen zueinander, solange es Puste dazu gibt. Wir kommen auf eine Wellenlänge, wenn wir im Einklang atmen. Eltern hauchen aufgeschlagenen Knien Genesung ein. Wir blasen uns Küsse zu. Über die Luft kommen allerhand unsichtbare Dinge zu uns.
Im Atem liegt tatsächlich der Schlüssel zur Kraft des Menschen. Eben
weil er uns jederzeit zugänglich ist;
weil niemand darüber nachdenken muss. Es braucht nicht einmal Atempraktiken dazu. Es ist wirklich unerhört einfach. Es kostet nicht einmal Geld.
Ich muss nur aufmerksam sein. Willens, dem Hauch, der mich von Anfang an am Leben hält, zu zu horchen. Was ist in der Zwischenzeit aus ihm geworden? Vielleicht halte ich 30 Sekunden lang die Luft an, um die Freude über meine Lungen wieder zu spüren.
Und es beginnt die Reise - an Orte, die der Atem schmerzlich aufwühlt und an solche, die der Luft mit Glücksgefühlen antworten. Hinein in einen Raum in der Mitte des Körpers, der mit der Zeit immer offener und freier werden wird, an dem ich mich sammeln kann und alles finde, was ich brauche oder wissen will.