ahimsā
Nicht-Verletzen, Gewaltlosigkeit, Vermeidung von Gewalttätigkeit
Aus ist es mit dem Weitausholen wie früher,
vor und zurück durch die Jahrhunderte.
Kann nur noch von einem Tag zum andern denken.
Meine Helden sind nicht mehr die Krieger und Könige,
sondern die Dinge des Friedens –
eins so gut wie das andere.
Die trocknenden Zwiebeln
so gut wie der Holzstamm, der durch den Morast führt.
Aber noch niemandem ist es gelungen,
ein Epos des Friedens anzustimmen.
Was ist denn am Frieden,
dass er nicht auf die Dauer begeistert und
sich von ihm kaum erzählen lässt?
Der greise Erzähler der Menschheit,
im Film „Der Himmel über Berlin“
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Der Weg wahrer Gewaltlosigkeit verlangt weit mehr Mut als die Anwendung von Gewalt.
M. Ghandi
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Ein wandernder Mönch kam einmal zu einem Dorf, das von einer riesigen Schlange in Angst und Schrecken versetzt wurde. Der Mönch suchte die Schlange auf. Sie war ein prächtiges Tier: der Leib stark und anmutig, die Schuppen glänzten darauf, und der Schlangenkopf hob sich majestätisch auf und ab. Der Mönch setzte sich zur Schlange auf den Boden und lehrte sie Ahimsa.
Ein Jahr darauf kam der Mönch wieder in das Dorf. Die Leute waren glücklich und lebten ohne Angst. Da suchte der Mönch jene Schlange auf, die einst die Menschen das Fürchten gelehrt hatte. Was für eine Verwandlung! Das einst so anmutige, starke Tier war nun mager und zerbrechlich, sein Körper von Wunden übersät. Da fragte der Mönch die Schlange, was geschehen wäre. "Du hast mich Gewaltlosigkeit gelehrt und ich habe mich an deine weisen Worte gehalten", antwortete die Schlange. "Aber jetzt haben die Menschen keine Angst mehr vor mir; sie spucken mich an, treten auf mich und werfen mit spitzen Steinen nach mir! Und nun sieh an, was aus mir geworden ist!" "Du hast Recht", sagte der Mönch, "ich habe dich Gewaltlosigkeit gelehrt, aber ich habe nie gesagt, dass du nicht zischen sollst."
Andy Goldsworthy, Dandelion Line
Mir fällt schon länger auf, wie schwer es ist, mit manchen Menschen ins Gespräch zu kommen, solange es nicht um die Heraburteilung (abwesender) Dritter geht; oder die Herabsetzung der eigenen Person. Erschreckend finde ich aber erst, wenn ich selbst halbautomatisch auf den altbewährten Eisbrecher "Raunzen" zurückgreifen möchte, um der Stille ein Ende zu bereiten.
Warum soll ich nicht verurteilen, verletzen, schlecht reden, denken oder handeln? Ich kann die Frage für mich beantworten, aber ich kann die Antwort (noch) niemandem erklärlich machen, der ihr nicht von selbst zustimmt. Ich weiß nur für mich: jeder verletzende Akt raubt mir Saft und Kraft.
Selbstbehauptung, gesunde Aggression, Abgrenzung und Durchsetzung verleihen mir hingegen Stärke, und zwar auf Dauer.
Wenn in mir Wut, Ärger, Zorn und Hass aufwallen, wohin lenke ich dann die Kraft, die hinter diesem Schwall liegt? Was tun mit Gewalt, wenn sie erst einmal da ist?
Die beste Vorbeugung scheint mir beständige Achtsamkeit in Gedanken, Worten und Taten.
Würde ich mich laut zu anderen Menschen so reden hören, wie ich manchmal mit mir selbst spreche, wäre ich über meine Bosheit, Gewalttätigkeit und Unnachsichtigkeit schockiert.
Je mehr ich Menschen (mich eingeschlossen) für Dummheit, Arroganz, Faulheit, Verbocktheit (etc. pp.) verachte und verurteile, desto mehr nehme ich mir am Ende selbst die Möglichkeit, Geduld und Nachsichtigkeit im Umgang mit meinen eigenen Fehlern zu erfahren.
Einmal habe ich mir gedacht, dass ich die Geschichte hinter jedem einzelnen ärgerlichen Verhalten meiner Mitmenschen erfahren sollte und keinerlei Wut oder Verurteilung wären mehr nötig. Ich selbst wäre dann um einiges leichter. Dann allerdings würde ich vielleicht dem Irrglauben aufsitzen, es gäbe tatsächlich Geschichten, die meine Gewalt verdient hätten. Nach näherer Betrachtung denke ich, wahre Gewaltlosigkeit zeigt sich, wenn sie sogar dann angewendet wird, wenn die Beweggründe der Mitmenschen nicht erkannt oder verstanden werden. Ahimsa "grundlos" und "unwissend", für jeden und in allem zu praktizieren, bedeutet, vollkommen von ihr durchwirkt zu sein. Man tut dann nicht Ahimsa, sondern verkörpert sie.´
Andy Goldsworthy
Dem Körper keine Gewalt antun – klingt ganz einfach, ist aber für mich und wahrscheinlich noch viele andere Westler, die Yoga vor allem als Körperarbeit kennen und betreiben, besonders schwierig. Bei Yoga im Allgemeinen geht’s nicht um „wie weit?“, „wie hoch?“, „wie viel?“ oder „wie schnell?“. Sondern um: „Wie ganz gelingt es mir da zu sein, wo ich bin?“
Das weiß ich zwar schon lange, trotzdem erwische ich mich gern dabei, ein Stückchen zu weit in die Dehnung zu gehen, oder eine Übung zu viel zu machen – um mir etwas zu beweisen, meinem Körper etwas abzuringen, o. Ä. Mein Körper mag noch so sehr nach Entspannung schreien – mich ganz ohne ein bisschen Schwitzen einfach in die regenerativen Asanas zu begeben, braucht nach wie vor viel Überwindung.
Wirklich achtsam und gewaltlos vorzugehen, bedeutet einige Minuten Innenschau vor jeder einzelnen Yogastunde. Nur so kann ich Bedürfnisse erkennen, Abläufe fein abstimmen, Schwerpunkte legen und die Posen danach auswählen. Nur so lassen sich das richtige Maß an Muskelan- bzw. Entspannung, die richtige Mischung zwischen herausfordernden und entspannenden Posen, und der passende Rhythmus ermitteln. Das zeigt, dass Gewaltlosigkeit mit anderen Yamas und Niyamas Hand in Hand geht. Ahimsa erfordert Ehrlichkeit mit mir, Selbstkenntnis, Mäßigung – zugleich aber auch Disziplin, Mut, Hingabe.