Aus Geldmangel ging es zu Ostern "nur" für ein paar Tage über den Öresund - und obwohl Nordost-Dänemark und Südschweden eigentlich fast aneinander liegen, war es wie in einer anderen Welt...
Das Schloss Fredensborg (im Frühling und Herbst Residenz der Königlichen) und der Park lagen am Ostersonntag ganz un-auferstehlich wie eine lebendige Kontemplation zur Vergänglichkeit da. Alles ganz still - trotz dem Regen - , bröselnde Farben, Pfützen unter den Statuen...
Hat mich an den letzten Post erinnert, zur Schriftstellerei, und die Kommentare dazu. Donna Leon, die ist doch so berühmt für ihre Venedig-Atmosphäre - warum eigentlich?, fragte ich mich nach dem Lesen. Nachdem sie selbst dort lebt, drängte sich die Frage auf, ob vielleicht die Mehrzahl ihrer Leser Venedig nur von der Landkarte kennt? Vielleicht findet Donna ihre Zeilen nicht einmal besonders "venezianisch"?
"Atmosphäre", das ist wieder so ein amüsanter Kopf-Zerzwirbler. Ich fand Liebe in Zeiten der Cholera atmosphärisch, oder die Virgin Suicides, oder Die Toten Seelen... Trotzdem fragt sich, wessen Atmosphäre da aus den Buchseiten in mein Hirn aufgestiegen ist - die des Autors? Meine? Unsere?
Würde ich einem Autor ein Bild meiner Vorstellung malen, wie überrascht wäre er von dieser Welt, die durch seine Worte ins Leben gerufen wurde? Würde er nicht vielleicht gerne Hand anlegen, zur Korrektur? Ist das nicht überhaupt eine uralte Furcht der Schreiber, dass die Leserhirne mit ihren Ideen machen was sie wollen?
Ich meine diesen Einwurf überhaupt nicht so hochtrabend wie er vielleicht daherkommt - wir haben ja eine heilige Ehrfurcht davor, z.B. im Museum etwas anzugrapschen (würden aber gern), und wir sind froh darum, dass unsere Kunstwerke so gut vor feuchten Händen und schwingenden Rucksäcken beschützt sind.
Aber was ist mit den Büchern? Wie sorgfältig lernen wir da, den Absichten des Schaffenden zu folgen? Ist das überhaupt wünschenswert? So ein bisschen Freiraum tut doch auch wieder gut, manchmal. Wer kann denn überhaupt behaupten, er hätte die 500 Seiten verstanden, durch die er sich grade gelesen hat?
Hab mich mit meinem Museums-Beispiel grade selbst ins Aus geschossen, stelle ich fest - denn natürlich sind Kunstwerke generell genauso unsicher vor den Betrachterhirnen wie Bücher. Es braucht nicht einmal Kunstwerke oder fremde Betrachter: wenn ich mir zum Beispiel meine Fotos hier ansehe, scheint mir plötzlich alles viel trauriger, als ich es an diesem Tag tatsächlich erlebt habe.
Anderer Einwurf: hat vielleicht jemand die (ich muss gestehen irgendwie lustige) Diskussion zu den erloschenen Augen von Ingrids Sohn auf ihrem Blog mitverfolgt? Sie postete da ein Bild von ihrem Sohn, die Tochter auf den Schultern, mit etwas entleertem Blick. Dieser wäre mir, ich gestehe schon wieder, nicht weiter aufgefallen, hätte nicht eine Kommentatorin ihn als erloschen bezeichnet (der Zusammenhang ist mir entfallen, aber es war kritisierend/aufrüttelnd gemeint).
Daraufhin entbrannte eine heftige Diskussion, Ingrid erklärte, sie hätte ihren Sohn gebeten, "normal" zu schauen, was er prompt übertreiben musste. Erstaunlich fand ich die Spannweite der Interpretationen zu diesem Foto: müde, erloschen, tot, nicht weiter erwähnenswert...
Und noch etwas Überraschendes: stand an diesem Osterwochen-Ende an einem Ort, an dem ich nie zuvor gewesen bin, von dem ich aber genau so geträumt hatte (inklusive der Gebäude, der Geräuschkulisse und allem drum und dran).
Dieser Traum, nach wie vor einer der schönsten und bedeutungsvollsten meines geschlafenen Lebens, hat mich endgültig davon überzeugt, nach Schweden zu gehen. Er war stimmungsvoll (atmosphärisch, eben), voll Licht und Luft, befreiend - so ähnlich wie ein tiefer Atemzug neben Gipfelkreuz mit Blick ins Tal, obwohl alles nicht im Traum enthalten.
Ich war dann eigentlich nur überrascht von meiner Nicht-Überraschung. Aha, achso, ja, das ist ganz genau wie in meinem Traum... Sehr schön! Gut! Und jetzt bitte weiter, ich bin hungrig.
4 Kommentare:
Jo, das ist so eine Sache mit den Bildern im Kopf. Das finde ich ja an Thomas Mann so erdrückend, dass er nicht loslassen kann, zwanghaft genau seine Vorstellung in meinen Kopf bringen muss.
Gut zu erzählen ist eine Kunst und mir gelingt sie am ehesten, wenn etwas ganz tief aus meinem Innern kommt.
Hast du mal Tucholsky gelesen? Wie er die Schweden beschreibt.
Und, ja, ich war noch nie in Venedig.
Keiner konnte mir bisher schlüssig erklären, wie ein Déjà vu funktioniert oder wozu es gut ist. In der Pubertät hatte ich oft welche, als Erwachsene nur noch selten. Manche fühlen sich wichtig an, andere belanglos.
Aber dieses Gefühl:"Hierher gehöre ich!" hat etwas sehr Beruhigendes, oder?
Es gibt Menschenschläge, mit denen man sich identifizieren kann, das ist dann wie Heimkommen.
Manchmal kann so ein Gefühl aber auch sehr beunruhigend sein. Weil es große Schritte verlangt.
Hast du große Schritte vor? :)
Ob ich große Schritte vorhabe?
Hm, weiß nicht...
Ich befinde mich in inneren Prozessen, bei denen es mir so erscheint, als täte ich jeden Tag Riesenschritte.
Das mit dem Heimkommen/Daheimsein ist so eine Sache. Eins der Dinge, die ich hier gelernt habe, ist, dass tiefes Zuhausefühlen tatsächlich unabhängig ist und sein sollte von Menschen und Orten.
Ich finde Schweden so wie jedes andere Land auch voller Vor- und Nachteile. Es gibt Dinge, die ich hier sehr mag, und dann wieder kann ich nur den Kopf schütteln. Das Land selbst vermarktet sich selbst ja als fortschrittliches Gleichberechtigungsparadies - teilweise stimmt das ja auch. Die Schweden sind aber genauso indoktriniert wie alle anderen auch, hier eben sozialdemokratisch.
Bitte nicht auffallen, ist das Motto, niemand darf aus der Masse herausstehen, bitte kein Patriotismus (die Fahne hängt trotzdem überall, wird dafür aber mit ungefährlicher Natur assoziiert), der Staat weiß was gut für uns ist und wir halten Frauen die Tür nicht auf, weil das wäre demütigend.
Wenn mein Jahr hier vorbei ist, werde ich hier einfach mal alles zusammenstellen, was mir hier zum Schwedischen Traum so alles untergekommen ist...
Vielleicht geht sich bis dahin ja noch schnell ein Tucholsky aus?
"Schloss Gripsholm"... aber vielleicht seh' ich auch vor lauter Klischees den wahren Schweden nicht... :D
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