Donnerstag, 25. Jänner 2007

an die musik

Heute im Radio ein Beitrag über die King's Singers. Die kristalline Intonation dieses Ensembles und die eigentümliche Schwingung der menschlichen Stimme haben mich zurückgeworfen in die Momente, in denen ich selbst (in Chor oder Orchester) von Klangwellen umspült, gebeutelt oder vom Hocker gerissen wurde. Eine Zeitreise:

5. Monat: zu "Also sprach Zaratustra" gebe ich meine ersten Lebenszeichen von mir.

9. Monat: "Figaros Hochzeit" gefällt mir so gut, dass meine Eltern beschließen, eine der Hauptfiguren auf die Liste der Lieblingsnamen für mich zu setzen.

Ich bin 4 und mein Vater spielt mir einen Debussy; ich tanze ums Klavier.



Ich bin 5 und verliebt in den Sänger auf dem Schallplatten-Cover von "Don Giovanni".

Ich bin 9 und besitze meine erste CD: Fritz Wunderlich singt Schumanns Dichterliebe, Schubert- und Beethoven-Lieder. Ich höre praktisch nichts anderes mehr. Im Booklet lese ich mit Entsetzen, dass der gute Mann mit 36 beim Sturz von einer Stiege ums Leben gekommen ist - meine erste bewusste Auseinandersetzung mit dem Tod...

Ich bin 12 und entdecke Gershwin's Rhapsody in Blue. Ich schwebe, torkle mit der Klarinette, tanze, tanze, tanze... (hier Teil 2, ich denke, ab der 3. Minute ist alles klar...) Dann erklärt mir die Tanzlehrerin, ich sei ein Elefant (Zeit meines Lebens weigert sich mein Becken, im Spagat den Boden zu berühren...); ich räume mein Tanzzeug in den Kasten.

13: mir erschließen sich die Freuden der Musikanalyse. Besser als Kreuzworträtsel!

14: eine Freundin schenkt mir eine Portishead-Platte. Ich liege auf einer Decke im Garten, dass Surren des Kassettenrekorders neben mir, und gebe mich dem Weltschmerz hin.

15: mein erster Freund macht mich mit PinkFloyd bekannt. Jahre des stundenlangen Lauschens, Platten-Umdrehens, Zurückspulens und Analysierens folgen.



In der Oper Eugen Onegin legt die Tatyana eine derart hinreißende Brief-Arie hin, dass das ganze Haus eine Gänsehaut bekommt und minutenlang den Atem anhält.

16: ich stehe im Chor und singe das Weihnachtsoratorium. Gegen Ende verschlägt es mir plötzlich die Sprache, ich verstumme und höre einfach nur zu - zum ersten Mal liegt die Struktur der Musik glasklar vor mir, ich verstehe für einen Augenblick, worum es Bach ging.

Einige Wochen später stimmt in der Londoner U-Bahn eine Handvoll Afrikaner lauthals in unser schüchternes Summen ein - drei Stationen lang bebt der Zug, dann müssen wir aussteigen. Lachen, Scherzen, verblüffte Briten.

Ich bin 17 und wurde auf der Musikuni aufgenommen. Meine Hassliebe zum Tonsatz verwandelt sich endgültig in Liebe; mein Gehör wird feiner; ich lerne, das Instrument als Verlängerung des Körpers zu verstehen. Mein Atem, meine Muskeln, meine Erdung wollen trainiert werden, um jegliche Regung, Stimmung und Nuance zum Ausdruck bringen zu können - und dabei neutral und klar zu bleiben; das ist die Kunst!

Bei Proben in Orchester und Ensemble darf ich erleben, was es heißt, wenn Musiker zu einer großen Maschine werden. Als Solistin beginne ich, die Bühne zu lieben und ihre Regeln zu begreifen.

Ich bin 20 als ich erstmals flüchtig einen Einblick in das bekomme, was man Meisterschaft nennt. Die Trennlinie zwischen mir und dem Holz in meinen Händen löst sich auf; ich experimentiere stundenlang; die Welt versinkt.

Gleichzeitig vergieße ich Tränen wegen meiner schwachen Finger, meiner schmerzenden Gelenke; den Grenzen meines Körpers.

21: ich sitze an der Analyse zu Richard Strauß' "Morgen!", die mir nicht vollends gelingt; stattdessen staple ich alle auffindbaren Aufnahmen über meiner Anlage (Lieder, Opern, Symphonien) und lasse mir von diesem großen Tonmaler (und Psychologen) die Regungen der menschlichen Seele zeigen; finde Trost, Leidenschaft, Sinn.

Ich bin 22, nehme mir eine Auszeit. Ich werde keine Musikerin werden, das weiß ich schon lang. Dabei liebe ich mein Instrument, die Musik... Ich kann es mir nicht erklären, das macht aber nichts. Einige denken, die Jahre wären umsonst gewesen; so ein Schmarrn. Es ist nämlich so:

Du holde Kunst, in wieviel grauen Stunden,
Wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt,
Hast du mein Herz zu warmer Lieb entzunden,
Hast mich in eine beßre Welt entrückt!

Oft hat ein Seufzer, deiner Harf entflossen,
Ein süßer, heiliger Akkord von dir
Den Himmel beßrer Zeiten mir erschlossen,
Du holde Kunst, ich danke dir dafür!
Schuberts An die Musik, in einer wunderbar intimen Aufnahme der Schwarzkopf (hätte Euch eigentlich gerne einen Wunderlich aufgelegt, tja...). Mehr gibt's eigentlich nicht zu sagen: Danke.

Bilder: Paul Klee, Rothko, Chagall

2 Kommentare:

sam hat gesagt…

Hallo Artemis,

welches war denn Dein Instrument? Die Klarinette dachte ich zuerst, aber dann-"schmerzende Gelenke"-wars Geige o.ä?

Musik ist NIE umsonst, find ich auch, in allen Aspekten. Nicht bloss das Fertige- das es eh nie gibt- auch das Üben und die Arbeit an etwas, wovon man u.U. lange gar kein "Ergebnis" merkt erstmal, find ich so formend und total wohltuend, ganz zu schweigen davon, wenn dann doch eines Tasges unverhofft die Sonne aufgeht, mitten unterm Spielen.
Ich hab allerdings nie die höheren Weihen kennengelernt so wie Du, mir waren drei Jahre Klavierunterricht als Kind fast nur lästig, weil ich (bis heute) das Instrument nicht besonders mag, Spinett wär mir lieber gewesen und Ragtimes haben mir besser gefallen als "Für Elise". Ich weiss ja nicht, ob man die Kinder heute auch noch damit quält.
Meine Musiklehrerin fand, ich sei eine (un)rhythmische Wildsau. Heut bin ich mir eh sicher, SIE hätte z.B. den Gershwin z.B. nie spielen können, eben weil sie selber eine war.
Ah, was solls.
Spielen wir uns weiter eine Gänsehaut, wie und wann wir wollen.
Ich bin so froh um mein Banjo, ich greifs mir und bin nach 10 Minuten aus der Welt und DAHEIM, neuerdings darf ich ja auch nachts, es ist das pure Glück.

Mach einfach weiter,
alles Gute,
Sam

artemis hat gesagt…

Mein Instrument ist nach wie vor die Flöte - die schmerzenden Gelenke und Sehnenscheiden holte ich mir aber vom Klavier. Zu dem Instrument hab ich nach wie vor eine unerklärliche Beziehung - Liebe einerseits, Heimat, Schwelgen ... und auf der anderen Seite Frustration, Müdigkeit, Ärger...

Achja, und die Bassflöte, auf der ich stundenlang experimentiert habe, hat das ihre dazugetan, hat mich aber körperlich nie so angegriffen wie 15 Minuten am Klavier...

Als Musiklehrerin hab ich mich manchmal als Wandlerin zwischen den Welten wiedergefunden... Einerseits ist da ein frischer, natürlicher und (noch) ungezwungener Zugang von Seiten der Kinder; und in diesen spielen alle möglichen Vorstellungswelten hinein - die der Eltern, Verwandten, Schulfreunde, und dann noch meine eigene...
Ich glaub nicht, dass es unmusikalische Menschen gibt (ich kenne wirklich niemanden, der sich nicht mit Musik in irgendeiner Form umgibt), aber Talent, naja, das hat halt nicht jeder, und nicht zu allen Zeiten...
Ich bin auch kein Fan vom Unterricht à la "Hauptsache Spaß" - so viel Spaß kann ein Mensch nicht haben, dass er sich der Gaudi wegen so lang und immer wieder mit zB einer schweren Passage auseinandersetzt, bis sie halt sitzt... Manche Eltern sind dann schockiert, weil sie meine Haltung mit Dressur und Domptur verwechseln. Dabei halte ich es für wichtig, dass Kinder lernen, aus sich selbst heraus Antrieb zu schöpfen, wenns halt einmal nicht so lustig oder einfach von der Hand geht. Ich für mich habe zB plötzlich entdeckt, dass ich mich beim Üben sauschwerer Stellen in eine Art Trance spielen kann - der Kopf wird leer, die Feinmotorik hat Raum, sich auf dem Glatteis bewegen zu lernen. Plötzlich macht es wieder Spaß - weil ich mir selbst den Spaß geschaffen habe.

Das (und auch die Entwicklung von Verständnis für das System "Musik" an sich) sind mir viel wichtiger als alles andere, und darauf versuche ich einzugehen.

In diesem Sinne muss ich auch an mir selber Therapiearbeit leisten. Die "höheren Weihen", wie du das nennst, haben mir zwar unwahrscheinlich viele Türen geöffnet; aber auch einige verschlossen. Ich möchte die Musik jetzt anders in mein Leben integrieren als bisher; daher die Auszeit. Es tut gut.

Viel Spaß weiterhin mit dem Banjo!
Liebe Grüße