Sonntag, 29. Oktober 2006

skelettmänner, skelettfrauen

Im Buch "Die Wolfsfrau" hab ich vor einem Jahr ein Märchen gelesen, das ich mir gerne erzähle, wenn ich Angst vorm Fühlen habe: Die Skelettfrau. Der Fischer, dessen vermeintlicher großer Fang sich als Skelett entpuppt (das ihm natürlich einen Todesschrecken einjagt), muss lernen, sich seiner Angst vor der Vergänglichkeit zu stellen und sich ihr hinzugeben, bevor er mit der zu neuem Leben erweckten Skelettfrau glücklich werden kann.
Ich schäme mich ja fast, zuzugeben, dass ich mich verliebt habe. Hier steh ich und lese Bücher und Blogs und und und..., die mir von den (Zauber-)Kraft-raubenden Eigenschaften von Liebesbeziehungen erzählen, und dann... Ich halte einfach dagegen, dass ich mich glücklich und beschenkt fühle. Fertig aus. (Ja, einen neuen Zeitplan brauch ich wahrscheinlich schon. Und auch ein bisschen mehr Disziplin, mich mir ganz allein zu widmen.)


Und ich höre die Skelettfrau klappern; sie erzählt mir vom Sterben der Leidenschaft; von den Schmerzen der Liebe; von den Steinen, die dieser Weg genauso wie jeder andere bereit hält; von seinen Geschenken. Sie erinnert mich an die kleine scharze Nuss, die mir im Herz sitzt und mir weiszumachen versucht, dass es besser für mich ist, mich in Gleichgültigkeit zu hüllen - dann kann mich nichts mehr berühren, mir nichts wirklich weh tun. Ich habe mir nicht erlaubt, jemanden zu lieben. Jetzt stehe ich an der Schwelle - will ich? Trau ich mich? Der dunkle Fleck ist wieder aufgewacht: "Hier gibt es nichts für dich zu holen, außer Betrug, Lüge, Verrat, Ungleichgewicht - erinnere dich!" Nein.

Wir sehen uns einen Film an; Waking Life. Ich denke nach über das, was ich bin und ob es wirklich so schlau ist, mein "Ich" aus dem zu konstruieren, was ich erlebt habe? Ich brauche tausend kleine Episoden, Geschichten und Fetzen dazu - und wahrscheinlich sind sie nur sehr oberflächliche Erklärungsmodelle für das, was ich jetzt tatsächlich bin. Es sind alte Häute, mit denen ich die neue Haut zu beschreiben versuche. Es kann gelingen, aber eben nur als Annäherung.


Wir liegen auf dem Fussboden und ich sage ihm, dass ich oft befürchtet habe, dass mein Herz nie wieder gänzlich funktionieren könnte. Und im Stillen spüre ich, dass das nicht mehr stimmt - das Herz umarmt und lacht; es hat überhaupt nichts verlernt oder vergessen. Mein Herz schert sich nicht um seine Narben - das tut nur das Hirn.

Ich möchte mich vergessen. Ich möchte mich nicht mehr taub stellen. Ich sage es ganz laut, damit es auch die Skelettfrau hört:

Ich laufe nicht davon!

3 Kommentare:

kvinna hat gesagt…

Ich glaube nicht, dass es heißt: "Liebe ODER Schmerz". Mit meinem Mann bin ich seit über 10 Jahren verheiratet und seit beinahe 15 Jahren zusammen.

Du erinnerst mich gerade an den Jubel der ersten Verliebtheit, Ungeduld, keine Minute ohne ihn, bis zur Selbstaufgabe, ich weiß, was du meinst.

Es war nicht immer einfach und zur Zeit ist es sogar extrem schwierig.

Aber Schmerzen und Verletzungen hat es in dieser Liebe immer gegeben. Ich glaube, dass sie zur Liebe dazugehören können. Nein, ich habe keine masochistischen Neigungen. Hoffe ich.

Und vielleicht gibt es Liebe ohne Schmerzen, Liebe, die immer nur gut tut und heilt. Bestimmt sogar.

Aber niemand kann mir so wehtun wie der Mann, den ich liebe. Niemand kennt mich so gut, niemand dringt je so tief in mich ein, weder körperlich noch sonstwie.

Und deshalb macht Liebe verletzbar. Da sind Schmerzen und Narben, Dinge, die mich tief getroffen haben.

Aber trotzdem liebe ich weiter.

artemis hat gesagt…

Liebe kvinna,

"Liebe ODER Schmerz", daran glaub ich auch nicht.
Mein Credo war/ist viel mehr:
"Liebe = Schmerz"
Was macht man da? Entweder gar nicht mehr lieben (ziemlich blöd), oder Beziehungen eingehen, in denen man nicht (genügend) liebt, um nicht verletzt zu werden (auch blöd), oder eben Risiken eingehen und nachsehen, ob das Credo auch wirklich so stimmt (wahrscheinlich nicht so blöd).

Und vielleicht gibt es Liebe ohne Schmerzen, Liebe, die immer nur gut tut und heilt. Bestimmt sogar.
Glaub ich auch. Vielleicht liegt sie irgendwo dort, wo die Definitionen vom Ich aufhören, wo die Angst aufhört, wo wahrscheinlich auch Beziehungen aufhören. Vielleicht sind Beziehungen ja im Allgemeinen nur ein Sprungbrett hin zu dieser Liebe, die immer gut tut und heilt. Wie ein ewiges, freies, offenes Atmen, so stell ich mir das vor. Oder wie eine ewig geöffnete, unsterbliche Blume, vielleicht... Ich habe das Gefühl, dass mich mein Lebensplan ganz von selbst in ihre Richtung führt. Mal sehen.

Ich erinnere dich an Selbstaufgabe, Ungeduld? :)
Hm, ich habe mich jetzt für einige Tage in meine Eremitage zurückgezogen und festgestellt, dass ich die Zeit mit mir nach wie vor vollkommen genießen kann. Ich bin schon unruhiger, mit diesem Haufen wieder hochgekommener Erinnerungen, Verletzungen, Hoffnungen und neuen Gefühlen vor meiner Türe. Mein Körper schreit von selbst nach Erdung. Mein Kopf meldet akuten Organisationsdrang: ordnen, schlichten, zügig arbeiten! Dann bleibt genügend Zeit für mich und ich kann immer genau in dem Moment bleiben, in dem ich grade bin.

Ich glaube nicht, dass dieser Mann mein Leben besser macht, nur anders.
Vielleicht heiler, ziemlich bestimmt organisierter.
Wie gesagt, mal sehen.

kvinna hat gesagt…

Nein, Liebe = Schmerz, das glaube ich auch nicht!!

Aber ich glaube, dass Schmerzen ein natürlicher Bestandteil der Liebe sind.

Da, wo die Märchen aufhören ("Und sie lebten glücklich...") da fängt die Geschichte doch erst an! Klingt abgedroschen, ist aber so!

Richtig, besser wird das Leben nicht, aber anders! Und es ist ständige Arbeit.

Heute sehe ich das manchmal so, wie in dem Bilderbuch von Frederic, der kleinen grauen Maus, die im Sommer keine Körner für den Winter sammelt, sondern Farben und Sonnenwärme.

Die erste Verliebtheit, was wir alles miteinander erlebt und auch ausgestanden haben, das ist die Reserve, von der ich jetzt zehre.

Das, was uns zusammenhält. Trotz allem.

Schließlich, er ist nicht mein Feind geworden. Wir lieben uns noch.

Aber wir verbringen unseren Tag in verschiedenen Welten, getrennt voneinander. Und jeden Tag auf's neue wieder zusammenfinden, wieder die gemeinsame Sprache zu benutzen, das ist manchmal ganz schön schwer... sowas kann einem keiner begreiflich machen, solange man frisch verliebt ist und "nichts" davon abhängt.