Dienstag, 31. Oktober 2006

wir sind frauen

Wir sind Frauen
und dadurch verbunden.
Wir gehen durch die Hölle und erneuern uns
und finden das Licht und das Lachen.
Wir leben stark.

Widmung einer Freundin in meinem Tagebuch, im Oktober 2004. Bei jedem Lesen nach wie vor ein Lächeln, Glücksgefühle, Wärme, Trost und Verbundenheit. Danke.

Sonntag, 29. Oktober 2006

skelettmänner, skelettfrauen

Im Buch "Die Wolfsfrau" hab ich vor einem Jahr ein Märchen gelesen, das ich mir gerne erzähle, wenn ich Angst vorm Fühlen habe: Die Skelettfrau. Der Fischer, dessen vermeintlicher großer Fang sich als Skelett entpuppt (das ihm natürlich einen Todesschrecken einjagt), muss lernen, sich seiner Angst vor der Vergänglichkeit zu stellen und sich ihr hinzugeben, bevor er mit der zu neuem Leben erweckten Skelettfrau glücklich werden kann.
Ich schäme mich ja fast, zuzugeben, dass ich mich verliebt habe. Hier steh ich und lese Bücher und Blogs und und und..., die mir von den (Zauber-)Kraft-raubenden Eigenschaften von Liebesbeziehungen erzählen, und dann... Ich halte einfach dagegen, dass ich mich glücklich und beschenkt fühle. Fertig aus. (Ja, einen neuen Zeitplan brauch ich wahrscheinlich schon. Und auch ein bisschen mehr Disziplin, mich mir ganz allein zu widmen.)


Und ich höre die Skelettfrau klappern; sie erzählt mir vom Sterben der Leidenschaft; von den Schmerzen der Liebe; von den Steinen, die dieser Weg genauso wie jeder andere bereit hält; von seinen Geschenken. Sie erinnert mich an die kleine scharze Nuss, die mir im Herz sitzt und mir weiszumachen versucht, dass es besser für mich ist, mich in Gleichgültigkeit zu hüllen - dann kann mich nichts mehr berühren, mir nichts wirklich weh tun. Ich habe mir nicht erlaubt, jemanden zu lieben. Jetzt stehe ich an der Schwelle - will ich? Trau ich mich? Der dunkle Fleck ist wieder aufgewacht: "Hier gibt es nichts für dich zu holen, außer Betrug, Lüge, Verrat, Ungleichgewicht - erinnere dich!" Nein.

Wir sehen uns einen Film an; Waking Life. Ich denke nach über das, was ich bin und ob es wirklich so schlau ist, mein "Ich" aus dem zu konstruieren, was ich erlebt habe? Ich brauche tausend kleine Episoden, Geschichten und Fetzen dazu - und wahrscheinlich sind sie nur sehr oberflächliche Erklärungsmodelle für das, was ich jetzt tatsächlich bin. Es sind alte Häute, mit denen ich die neue Haut zu beschreiben versuche. Es kann gelingen, aber eben nur als Annäherung.


Wir liegen auf dem Fussboden und ich sage ihm, dass ich oft befürchtet habe, dass mein Herz nie wieder gänzlich funktionieren könnte. Und im Stillen spüre ich, dass das nicht mehr stimmt - das Herz umarmt und lacht; es hat überhaupt nichts verlernt oder vergessen. Mein Herz schert sich nicht um seine Narben - das tut nur das Hirn.

Ich möchte mich vergessen. Ich möchte mich nicht mehr taub stellen. Ich sage es ganz laut, damit es auch die Skelettfrau hört:

Ich laufe nicht davon!

Dienstag, 24. Oktober 2006

arghs!


Hinter diesen Fenstern verbirgt sich Lunds Weisheit...


Ist das möglich?

Jetzt hab ich tagelang gelesen wie eine Blöde für diesen Aufsatz und jetzt ist der erste Teil beinahe fertig und ich hänge...

... am letzten klitzekleinen Satz...

... der den Hauptteil...

... mit meiner Conclusio verbinden soll...

... seit einer Stunde!...

Sjöström, erbarme dich meiner!

Sonntag, 15. Oktober 2006

erbschaft


Ich muss in den letzten Wochen häufig an meine Großmutter denken, die vor vier Jahren verstorben ist. Sie selbst war Ärztin und hat den Krebsbefund nie geöffnet weil sie wohl wusste, was sie erwarten würde. Stattdessen hat sie ihre Ahnung geheim gehalten und ihr letztes Jahr mit Reisen verbracht, bevor sie sich ins Bett gelegt hat, um zu sterben. Mit eiserner Disziplin hat sie ihren Besitz geordnet, Verwandte und Freunde zu sich bestellt um alles zu verteilen. Sie dachte, es würde schnell gehen. Sie hat sich geirrt, ihr Tod hat schlussendlich über 9 Monate gedauert.

Was sie festgehalten hat, war ihr Unwillen, sich bei einigen Menschen zu entschuldigen (zum Beispiel bei meiner Mutter), oder Demut zu zeigen. Ich erinnere mich daran, dass der dünne Faden, der sie in ihrem Körper gehalten hat, fast greifbar war; er bestand aus einer einfachen Entschuldigung und ehrlicher Reue. Ich war unbeschreiblich wütend, weil sie sich so sehr an diesem Faden festhielt. Sie hat jede Hilfe, jeden Beistand abgelehnt. Dabei waren genug Menschen da, die sie auf ihrem Weg begleiten wollten. Sie hatte das seltene Glück, einen Haufen echter Freunde um sich zu haben - ich weiß bis heute nicht, was sie daran gehindert hat, dieses Geschenk auch anzunehmen.

Ich habe ihren Tod nie als schrecklich oder beängstigend empfunden. Ich bin fast geplatzt vor Neugier, wollte bei ihr sein und sie erzählen hören. Ich hatte vor, die verbleibende Zeit mit meiner Großmutter so intensiv wie möglich nutzen und über den Tod zu lernen. Ich habe so oft gehört, wie ähnlich ich ihr sehe, dass ich mich wie sie bewege - ich wollte wissen, wer der Mensch ist, von dem ich so viel geerbt habe. Ich habe versucht, sie zum Sprechen zu bringen und sie ermutigt, zu erzählen; mir ihre Sorgen und Gedanken mitzuteilen - ich wusste, dass sie unter bestialischen Schmerzen und ständiger Übelkeit litt und bis heute bin ich traurig darüber, dass sie niemanden daran teilhaben lassen wollte. Ich war damals noch Kind genug, um ihrem Sterben natürlich zu begegnen - weder ihre Schmerzen, noch ihre extreme Abmagerung, der Medikamentengeruch oder ihr Todeskampf haben mich erschreckt oder angewidert. Wenn ich heute daran denke, mit welcher fast schon penetranten Neugier ich sie bearbeitet habe, muss ich lachen. Ich bin erstaunt, dass sie so viel Kraft entgegen bringen konnte, um meiner trickreichen Ungeduld den Riegel vorzuschieben.

Schlussendlich hat sie doch losgelassen. Ich habe mich die längste Zeit gefühlt wie ein kleines Mädchen am Bahnsteig, das verzweifelt darauf wartet, dass ihr ein geliebter Mensch ein letztes Mal aus dem abfahrenden Zug zuwinkt. Die Nachricht von ihrem Tod war zugleich erleichternd und niederschmetternd. Ich war unsicher, ob ich ihre Leiche sehen wollte, aber schließlich hat die Hoffnung auf ein Zeichen und Abschied gesiegt: ich bin zu ihr gegangen.
Einen menschlichen Körper nicht klopfen, pochen und arbeiten zu sehen, war für mich zutiefst berührend und eine schöne Erfahrung, weil ich seitdem keinen Zweifel mehr daran hege, dass es die menschliche Seele gibt. Ich habe sie davonfliegen gesehen, ich habe mich von meiner Großmutter verabschieden können.

Trotzdem - ein wichtiger Schlüssel zu mir selbst ist mir unwiederbringlich verloren gegangen. Ich weiß natürlich, dass ich nicht sie bin - aber ich glaube, dass wir als Menschen mehr von unseren Eltern und Großeltern erben, als nur unser Aussehen. Die Sehnsucht zu wissen, auf wessen Mist man gewachsen ist, gehört wahrscheinlich zu den grundlegendsten menschlichen Regungen.

Montag, 2. Oktober 2006

zubeißen

So, ich habe schon wieder zugebissen, und leider in die falsche Wade...

Zwischen einer meiner Mitbewohnerinnen und mir läuft seit meiner Ankunft ein Spiel, bei dem ich nicht genau weiß, worum es geht, von dem ich aber sicher sagen kann, dass es nicht gesund ist. Wenn ich mit ihr in den Ring steige, entwickle ich urplötzlich enorme Scharfsinnigkeit, Kraft, Ausdauer und Neugier:

Scharfsinn, jede kleine Unstimmigkeit oder Widersprüchlichkeit in ihrer Argumentation oder Denkweise sofort aufzuspüren und grell auszuleuchten.
Kraft, stärker zu sein, mich provozieren zu lassen und dann zu gewinnen.
Ausdauer im Bohren und Rechthaben.
Neugier zu sehen, wie weit ich komme und wieviel dabei kaputt geht.
Es ist eigentlich äußerst belustigend, zu beobachten, wie ich jedes Mal aufs Neue in die Falle gehe: man wirft mir eine Aussage hin, die darauf abzielt dass ich reagiere. Ich spüre, dass hinter dem hingeworfenen Satz der Wunsch nach einer bestimmten Reaktion schwingt, die dem Gesagten zu 180° gegenüber steht. Ich reagiere absichtlich nicht so, wie es erwünscht ist. Und bin damit schon in die Falle getappt. Weil ich reagiert habe.
Ein stereotypes Beispiel, aus dem Alltag gegriffen: "Ich bin so dumm/hässlich/dick..." Erwünschte Reaktion: "Nein, um Gottes Willen, du bist ein unglaublich kluger/schöner/gut gebauter Mensch!" Reagiert man so, findet der/die andere tausend Gründe, warum man Unrecht hat. Reagiert man anders herum, ist das Gegenüber beleidigt - weil man ihn/sie ja offensichtlich für dumm, hässlich oder dick hält.

Mein Fehler: ich reagiere unerwünscht UND diskutiere trotzdem weiter. Ich will zum Beispiel andere ihrer manipulativen Absichten überführen - und werde aus diesem Grund selbst manipulativ. Ich möchte den unumstösslichen Beweis erbringen, dass meine Art zu denken und zu sein definitiv und unanfechtbar die bessere ist. Ich werde zu einem ganzen Haufen Eigenschaften, die nicht besonders schätzenswert sind. Sehr amüsant, von oben betrachtet.

Mich stören diese Seiten an mir, ich schäme mich, zugleich möchte ich mich ihnen aber respektvoll nähern, um Veränderung zu bewirken. Es ist ein Seiltanz zwischen Selbst-Hinterfragung, kritischer Beobachtung, Verblendung, Selbstmitleid und Selbstverachtung. Der Teufel in mir lässt sich ja ungern am Schopf packen und ins Tageslicht zerren. Er reagiert auch beleidigt, wenn ich ihm die Hörner abschneiden möchte oder ihn woanders hin zum Spielen schicke. Da wird er dann trotzig. Trotzdem will ich einen Weg finden, ihn nicht in seinem geliebten Teufelskreis Runde um Runde drehen zu lassen - oder zumindest so, dass ich ein Auge auf ihn haben kann...

Eine sehr schlaue Lösung von einem lieben Menschen vorhin am Telefon:

Lachen. Weggehen. Später zurück kommen.

Mein Teufel fährt grade aus der Haut, weil er nicht selbst darauf gekommen ist.