Ich hab mir vor kurzem die Doku "thin" angesehen (gibt's auf YouTube in mehreren Teilen). Das Ganze spielt sich in einer Klinik für essgestörte Frauen ab, in diesem Fall ess-brech-süchtig, hungernd usw. Hab mir das angesehen, weil ich wissen wollte, wie Profis an Essstörungen und das damit verbundene Körperbild herangehen.
Ich habe den gesamten Aufbau dieser "Therapie" aber als so verkehrt und falsch empfunden, so am Problem vorbei, dass ich fast schon lachen musste. Für mich war relativ schnell klar, dass keines der Mädels da "geheilt" wieder rauskommt, und tatsächlich hingen diejenigen, die nach der Entlassung dokumentarisch begleitet wurden, kurz danach wieder über der Muschel, nahmen rapide ab usw.
Schafe essen sich rund
Grundsätzlich sind Essstörungen eine vollkommen selbstbezogene, egozentrische Krankheit, gekoppelt mit wenig bis gar keinem Selbstgefühl. Die Welt besteht nur aus dem eigenen Bauchnabel, den Schenkeln oder sonstigen Problemzonen; bzw. dehnt sich die Bedeutung dieser Zonen so weit aus, bis sie die ganze Welt auszufüllen scheinen. Nichts anderes kann dann noch wichtig sein, und gleichzeitig hängt das ganze Lebensglück eines Menschen dann von diesen Teilen ab.
Die Klinik die in der Doku gezeigt wurde, bot (so schien's mir) vorwiegend Gesprächstherapie an, in Gruppen oder allein; es gab klarerweise strikte Verbote (kein Sport, kein Kotzen, kein Rauchen, kein Essenverstecken, keine Abnehmmittel usw. usf.), Zimmerdurchsuchungen, und dergleichen.
Es schien mir so, als würde sich alles nur noch stärker um die Probleme jeder einzelnen drehen. Die Aufmerksamkeit zog sich also immer weiter in konzentrischen Kreisen auf den Bauchnabel der Frauen zusammen - an einer Stelle, an der meiner Ansicht nach die Öffnung und Erfahrung der Welt außerhalb und um diesen Bauchnabel so viel heilsamer sein könnte.
Gockel aalen sich in der Sonne
Ich wäre wirklich interessiert an der Meinung einer, die sich vielleicht selbst schon in so einer Therapie befunden hat, oder noch befindet. Das Unaussprechliche aussprechen zu lernen, ist bestimmt ein wichtiger Teil der Heilung. Aber Worte ersetzen nicht die leibliche Erfahung. Ich hätte diese Frauen liebend gerne hinaus geschickt, zum Gärtnern, in Kindergärten, in gemeinnützige Einrichtungen, was weiß ich! Um ihr Weltbild zu öffnen, Geben und Nehmen zu erfahren, natürlichen Lebenszyklen wieder folgen zu lernen, und um ihnen Schönheit vor Augen zu führen, die vom Umfang des Bauchs völlig unabhängig ist.
Und um Himmels Willen - warum haben sie den Sport gestrichen? Wenn eine ihren Körper beständig aushungert, taubfrisst oder sonstwie totstellt (sogar mit übermässigem Sport), ist doch nichts wichtiger, als die eigene Haut wieder ausfüllen zu lernen, in wohliger, sanfter Bewegung, die kein anderes Ziel kennt als genau dieses Spüren?
Dieses stundenlange Reden hat mich so wahnsinnig gemacht - Sprache ist der tiefen Erfahrung und dem echten Lernen so hinderlich...
Kinder zeigen ihr wahres Ich
Befinde mich gerade selbst im ca. 4231sten Anlauf, mein Blickfeld endlich von diesem übermächtigen Bauch zu befreien. Ohne Zwang und Reißen, aber doch mit einer gewissen Bestimmtheit. Sam schreibt, dass es keinen Grund gibt, Dinge hinzunehmen, die wir nicht mögen - das stimmt. Aus diesem Grund habe ich vor ca. einem halben Jahr meine bis dahin unregelmäßige Yogapraxis radikal ins Zentrum gerückt, und bin seither beinah jeden Tag auf der Matte. Ich schwitze und atme mit größtem Genuss, könnte mittlerweile eine ganze Sau essen jeden Tag, fülle meinen Körper aus, kann im Augenblick bleiben, besitze so viel Disziplin, Körperweisheit, Standvermögen und Kraft, dass ich vor Freude platzen möchte. Das allerschönste ist, dass ich mir das alles selbst erarbeitet hab.
Und das ist der beste Beweis dafür, dass Minderwertigkeitsgefühle nichts mit der Realität zu tun haben - meinen Bauch find ich nämlich des öfteren noch beschämend formlos, madig und ekelerregend.
Das Schöne ist, dass ich beim Yoga den wahren Kern meiner Mitte erfahren durfte; wie sie meinen Körper zentriert, stabilisiert, wärmt und verwandelt. Sogar ohne all dies ist mein Bauch eine wunderbare Einrichtung, in der es sich gut zurücklehnen lässt. Das war wichtig für mich: den tieferen Sinn dieser Mitte zu erleben, wozu sie wirklich da ist (nicht zum Trimmen, Beschneiden, Verkleinern).
Die Reise geht weiter...
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Die Bilder stammen aus St. Hansgården in Lund. Ein Ort, an dem Tiere umweltfreundlich gehalten werden - alle Gebäude sind aus recycelten, abgerissenen Häusern, Strom kommt aus eigener Windturbine und Solarzellen und der Gemüseanbau erfolgt in Permakultur ("dauerhafte/nachhaltige Landwirtschaft"). Der große Garten befindet sich in einem Einwandererviertel mit relativ hoher Arbeitslosigkeit. Nach der Schule kommen die Kinder um zu spielen, zu helfen, und die Basis nachhaltiger Landwirtschaft zu erlernen. Schulen organisieren Lehrausflüge. Studenten und Freiwillige arbeiten ebenfalls dort. Die Auswirkungen sind überraschend: Kinder wollen kein Fleisch mehr essen, oder die Familie steigt auf hochwertigere Lebensmittel um, weil die anderen den Kindern "nicht so gut schmecken wie in Hansgården!"