Dienstag, 27. März 2007

Die Untoten - Teil 1

I still do not know what impels anyone sound of mind to leave dry land and spend a lifetime describing people who do not exist. If it is a child's play, an extension of make believe - something one is frequently assured by people who write about writing - how to account for the overriding wish to do that, just that, only that, and consider it as rational an occupation as riding a bicycle over the Alps?

Mavis Gallant, Vorwort zu Ausgewählten Geschichten


Was die Vorsätze betrifft, sollte Neujahr im Frühling liegen. Mit dem frischen Wind kommen dann nämlich die Ideen für wirklich durchführenswerte Pläne; und wenn schon keine guten Ideen, dann doch zumindest der Elan, auch die schlechten anzupacken... Bei mir sieht das so aus: zwei Leichen möchte ich unter Einsatz all meiner Kräfte endlich aus dem Keller befördern. Und dann wiederbeleben.

Untote Nummer Eins: meine Schreiblust. Eigentlich ist ja allein dieser Blog eines ihrer deutlichen Lebenszeichen - aber irgendwie steht doch Blog zu Schreiberei wie ... mein Gott, wo bleibt der gute Vergleich? ... die Tischdecke zum Tellerinhalt, in etwa.

Der Friedhof meiner Schreiblust liegt in dichtbekritzelter Form in diversen Schubladen, Notizbüchern und Heften, oder, schlimmer, irgendwelchen Mülldeponien (verteilt in Europa). Ich schlage diese papierenen Friedhöfe in unregelmäßigen Abständen auf, jedes Mal in der Hoffnung, eine wundersame Buchstabenvermehrung anzufinden - irgendetwas, das besser ist als das, was ich beim letzten Mal zurückgelassen habe. Dann feile ich für ein paar Stunden/Tage penibel an einigen Grabsteinen, füge einen neuen hinzu und spaziere wieder davon.

Die Geschichten gewittern hinter meiner Stirn wie ein penetranter Kopfschmerz. Mehr als einmal wollt ich den Kopf an der Wand zerbrechen, oder das Hirn mit einer Nadel aufstechen, damit der juckende Brei endlich in geordneter Form aufs Papier gleiten kann. Doch mit Gewalt lässt sich der Schädel ungern zerbrechen, er liebt den "Flow" - und wenn ich dann gelegentlich fließe, fühlt es sich an wie Klo nach 12 Stunden Busfahrt: pure, beglückende Erleichterung.

Mein Kampf mit Adjektiven und Adverbien begann mit 8. Ich, an der Schreibmaschine, oder bewaffnet mit Karton, Schere und Faden mir Buchdeckel bastelnd, welche dann mit dem Getippten beklebt wurden. Später tatens auch Rechner und Drucker. Seit jeher befiel mich wilde Scham, wenn diese Texte in irgend jemandes Hände gerieten. Zwei oder drei Ausnahme-Menschen habe ich in Anfällen des Wahnsinns freiwillig Exzerpte meiner literarischen Bewältigungsversuche ausgehändig; nach wie vor fählt es mir schwer, nicht zu erröten, wenn ich daran denke. Mein innigster Wunsch ist es, eines Tages den Raum zwischen zwei Buchdeckeln selbstständig gefüllt zu haben, von mir aus ein einziges, ewig ungelesenes Exemplar. Diese Vorstellung fühlt sich an wie Zuhause. Daheim im Bücherregal.

Mitten im Studium eines ethnografischen Textes überkam mich vor einigen Wochen in der Bibliothek eine schriftstellerische Eingebung. Ich habe mich nicht vom Fleck bewegt, bis die Seite vor mir satt war. Die Erleichterung war doppelt: erstens, das Weiß war bezwungen. Zweitens lockerte das Erlebnis in meinem Hirn eine Schraube. Die Wahnvorstellung des Schreiber-Genies verflüchtigt sich nun langsam und ich begreife, dass ich grundsätzlich kann - es ist eine Sache von Zeit und Sturheit. Seither ist mir klar: die Leiche muss raus.

Ich würde jetzt gern ein Happy End folgen lassen, à la "Und sie schrieb stilsicher und flüssig bis an ihr Lebensende",
oder zumindest:
"Und durch den aufrichtigen Wunsch erblühten augenblicklich die zu Schreibblockaden versteinerten Geschichten und nie wieder zweifelte die Poetin an der Kraft ihrer Feder."

Uäh. Dream on.
Und über die andere Untote berichte ich - demnächst.

***

Kvinnas Kommentar zu meinem letzten Post habe ich leider stiefmütterlich vernachlässigt - es blamiert sich niemand tödlich der nicht weiß, dass ich nach einem kurzen Abstecher nach Österreich jetzt wieder in Schweden bin und dort bis Juni bleibe. Und ja, der schwedische Frühling ist urgewaltig - aufbrausend und federleicht zugleich kommt er daher. Und warum muss man, um das zu erleben, warten, bis "die Kinder ein bisschen älter sind?" Das würd ich jetzt gern mal verstehen (oder blamiert mich diese Frage tödlich???)

Sonntag, 4. März 2007

lenz


Heute stelle ich fest,

dass die Tage, an denen es um 3 schon dunkel war, schon längst wieder vorbei sind,

dass Sonnenlicht tatsächlich blendet,

dass die Vögel zurück sind,

und dass man Frühling riechen kann!

Was für ein Sonn-Tag, im wahrsten Sinne des Wortes... Bin vom schönen, goldenen Licht hier wachgekitzelt worden, die halbe Stadt in Pärchenformation auf den Strassen, alle Blumen - die, die die Schneestürme der letzten Wochen überlebt haben - schon halb aus der Erde. Ich zum ersten Mal ohne Haube und Handschuhe aus dem Haus, ein milder Wind um die Ohren der die Wolken über mir in gewaltigen Gebilden vorüberschiebt - dazwischen nur Blau, Blau, Blau!

In den Gewächshäusern im botanischen Garten lauter aufgeregte schwedische Zwerge, die sich über die frischgeschlüpften Wachtelküken beugen, in den Gärten haben die ersten mutigen Erwachsenen Fika (Kaffee-und-Kuchen-Tratsch), in Decken gehüllt.

Und obwohl der Winter verhältnismäßig mild war, fallen mir allerhand Dinge von der Brust, die mir nicht einmal aufgefallen sind. Ist doch erstaunlich, dass der Frühling einen Jahr für Jahr zum Zwitschern bringt, und dass wir uns jedes Jahr drüber verwundern, als wär's das erste Mal...